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148 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Monaten nicht nur die Reichsverfassung von März 1849 auf ihre Terminologie
durchgesehen und anschließend die daraus entnommenen Termini und Thesauri
übersetzt, sondern auch verschiedene zentrale Gesetzestexte wie das Patent über
die Grundrechte von 1849, das Pressegesetz von 1849 u.v.m. Der dabei entstan
dene Wortschatz wurde verzettelt und wuchs auf 8.000 Zettel pro »Dialect« an.
Im November 1849 folgten Revision und Sichtung des gesammelten Materials,
um über die »Angemessenheit und Richtigkeit mancher Verdollmetschungen
viel sicherer urtheilen [zu können]« (ibid : VIII). Im Zuge der Revision wurden
die terminologischen Termini definitiv festgelegt und ihre alphabetische Anord
nung vorgenommen. Schließlich wurde ein Redaktionskomitee aus der Mitte
der Kommissionsmitglieder gebildet, das nach der Auflösung der Kommission
mit den noch zu erledigenden Arbeiten betraut wurde.
Die Arbeit der Kommission wurde durchwegs positiv aufgenommen : Zum
einen trug sie unbestreitbar zur Festigung und Bereicherung der jungen Schrift
sprachen bei,143 zum anderen bewirkte sie in der Folge, dass von zahlreichen
Gesetzestexten im Sinne der erarbeiteten Terminologien Neuübersetzungen
angefertigt wurden. Den Sprachen des Reichsgesetzblattes wurde zweifelsohne
durch die Arbeit der Terminologiekommission auch insofern normative Kraft
zuerkannt, als sich etwa das Unterrichtsministerium unter Leo Thun bei der
Ausarbeitung neuer Lehrbücher auf die im Reichsgesetzblatt angewandten
Sprachformen berief und sie gleichzeitig für verbindlich erklärte (Slapnicka
1974 : 452).144 Im Zuge der regen Übersetzungstätigkeit kam es auch zur Re
daktion zahlreicher juridischer Fachwörterbücher, die der neuen Rechtstermi
nologie Rechnung trugen und einen wesentlichen Beitrag dazu leisteten, dass
auch nach 1918 die terminologische Einheit in weiten Teilen erhalten blieb.145
Die Authentizität der Texte des Reichsgesetzblattes in 10 Sprachen hatte
jedoch nur drei Jahre lang Gültigkeit. Bereits ab 1. Jänner 1853 galt nur mehr
der deutschsprachige Text als authentisch ; die Übersetzungen in die anderen
Sprachen hatten ab sofort nur mehr in den Landesgesetzblättern zu erschei
143 Es erscheint erwähnenswert, dass Vuk Karadžić die Zusammenkunft der Terminologiekommis
sion sowie die gleichzeitige Präsenz weiterer namhafter kroatischer und serbischer Gelehrter in
Wien nützte, um das bereits erwähnte »Wiener Abkommen« zu schließen. Vgl. im Detail auch :
Hamm (1964 : 98f.).
144 Vgl. dazu auch Hammer Purgstall (1852 : 99), der der zehnsprachigen Ausgabe des Reichsge
setzblattes ein hohes demokratisches Potenzial einräumt.
145 Vgl. dazu im Detail Slapnicka (1973 : 69f.). Zur Rolle der Abfassung ein und mehrsprachiger
Wörterbücher im aufkommenden europäischen Nationalismus und der damit einhergehenden
»lexikographischen Revolution« vgl. Anderson (1998 : 65f.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437