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»Polykulturelle Translation« 149
nen.146 Rückwirkend wurde außerdem bestimmt, dass auch bei allen bereits ver
kündeten und in Kraft gesetzten Rechtsbestimmungen nur der deutsche Text
authentisch ist. Hunderte von Zentnern der noch in der Staatsdruckerei lagern
den Texte des Reichsgesetzblattes wurden eingestampft. Was war der Grund
für diesen Rückschritt ? Wie war es möglich, dass nun wieder die zentralistische
Variante der allein gültigen deutschen Sprache auf die Tagesordnung zurück
kehrte und den alleinigen Authentizitätsanspruch stellte ? Die Gründe dafür
lagen im Bereich der Politik sowie – schlichtweg – in der Machbarkeit. Das
Reichsgesetzblatt wurde per Patent vom 4. März 1849 an alle Behörden Wiens
sowie an sämtliche Gemeinden der Monarchie portofrei geschickt. Eine sol
che Auslieferung bedeutete eine Auflage von 135.000 Exemplaren, davon rund
100.000 Exemplare mit zweisprachigem Text, also in doppeltem Umfang. So
nahm allein der Jahrgang 1850 70 Millionen Quartbogen in Anspruch. Alle
Behörden und Gemeinden der Monarchie waren verpflichtet, es zu halten, mit
dem Ergebnis, dass die Staatsdruckerei nach drei Jahren eine Million ausgelegt
hatte, die sie von den Behörden nicht eintreiben konnte. Das beste Geschäft
machte die Papierindustrie, deren Einkünfte durch diese Aufträge um 50–100 %
stiegen (Slapnicka 1974 : 449f., Rogge 1872 : 103f.). Der postrevolutionäre reak
tionäre Wind schien also – in Gemeinschaft mit wirtschaftlichen Überlegungen
– auch die sprachlichen Regelungen in Sachen Gleichberechtigung zu erfassen.
Die stolzen Worte von Justizminister Schmerling, an seinen Kaiser gerichtet,
»Das Reichsgesetzblatt mit seinem in zehn Sprachen redigierten Texte […] mag
allen Völkern des Kaiserstaates zum lebendigen Beweise dienen, daß es Eurer
Majestät Regierung mit der Durchführung der verfassungsmäßig zugesicherten
Gleichberechtigung aller Nationalitäten […] heiliger Ernst ist« (Schmerling
1849, zit. nach Slapnicka 1974 : 449) verloren somit innerhalb von nur drei Jah
ren ihren Wert.
146 Was die sprachliche Verwendung in den Landesgesetzblättern anbelangt, so bestand der größte
Unterschied zu den Reichsgesetzblättern in der Handhabe der »Authentizität« der Gesetzes
texte : Nur drei Länder regelten landesgesetzlich, welche Sprache jene des authentischen Ge
setzestextes sei. In Galizien war es seit 1866 die polnische Sprache allein, doch waren alle Texte
auch in ruthenischer Sprache zu veröffentlichen ; in Böhmen wurden die deutschen und tschechi
schen Texte, in Krain die deutschen und slowenischen Texte als gleich authentisch bezeichnet. In
allen anderen Kronländern mit mehrsprachigen Landesgesetzblättern galt die deutsche Sprache
als authentisch, doch erschienen sie jeweils in zwei oder drei Sprachen. Vgl. im Detail Stourzh
(1980 : 1055) sowie Hugelmann (1934 : 627, 642, 679).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437