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160 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
und Literat. Die beiden einzigen Kandidaten mit nachgewiesener translato
rischer Berufserfahrung waren Justus Eisner, »Gerichtsdolmetscher in Wien«
für Italienisch, und Stanislaus Nowínski, »Dolmetscher in der Redaktion der
Gazeta Lwowska« in Lemberg für Polnisch ; etwa die Hälfte der Bewerber für
Ruthenisch bzw. Polnisch gaben an, auch polnische bzw. ruthenische Über
setzungen anfertigen zu können. Für einen Großteil der Kandidaten liegen
Empfehlungsschreiben von amtlicher Seite vor. Aus den Gesuchen gehen die
Qualifikationen der Bewerber mehr oder weniger klar hervor : Ihre sprachliche
Kompetenz erwarben sie entweder im Selbststudium oder, in wenigen Fällen, in
der Schule bzw. »praktisch durch den Gebrauch im Leben« und im Beruf, also
sowohl durch »habitualisiertes« als auch »institutionalisiertes Übersetzen«. Die
translatorischen Fähigkeiten beruhten auf einschlägiger Praxis als remunerier
ter Redakteur für das Reichsgesetzblatt oder im Rahmen der Anfertigung von
Gesetzesübersetzungen als Aushilfe. Zu den Prüfungen waren insgesamt nur
neun Kandidaten erschienen, die Prüfungskommission bestand aus »Ministeri
albeamten mit ausgezeichneten Sprachkenntnissen und Übersetzererfahrung«.
Die Wahl für den definitiven Redakteursdienst fiel schließlich auf Vincenz Bar
telme Schrott, vormals Bezirkskommissär, für Italienisch, Stanislaus Nowínski
für Polnisch und Johann Głowacki, ehemaliger Regierungsoffizial im Kriegsmi
nisterium und Feldarzt, für Ruthenisch.
Wie aus der Ausschreibung aus dem Jahr 1869 hervorgeht, waren die Quali
fikationskriterien für Redakteure des Reichsgesetzblattes neben der erforderli
chen sprachlichen Kompetenz sehr vage formuliert. Dieser »Missstand« wurde
1911 in Angriff genommen. Ein Antrag des Redaktionsbureaus vom 29. März
1911 schlägt diesbezüglich drei alternative Einstellungsvoraussetzungen vor : a)
den Nachweis der zurückgelegten juridischen Studien, b) den Nachweis eines
im Inland erlangten Doktors der Philosophie in der relevanten Sprache oder
Sprachengruppe sowie in einem philologisch historischen Fach oder c) den
Nachweis der Lehramtsprüfung für die infrage kommende Sprache. Die Durch
führung einer unter amtlicher Aufsicht stattfindenden Prüfung sollte beibehal
ten werden. Der Antragsteller und Vorstand des Redaktionsbureaus Karl Jékey
bringt für die Frage, ob nur Juristen oder auch Philologen zugelassen werden
sollten, verschiedene Argumente vor. Juristen würde infolge ihrer »Vorbildung
und Schulung des Denkens das Eindringen in den Geist der zu übersetzenden
Normen leichter [fallen]«, während Philologen zwar in Bezug auf die juristische
Terminologie im Nachteil wären, doch könnte bei ihnen »ein regeres Gefühl für
linguistische Feinheiten und für die Fortbildung der Sprache vorausgesetzt wer
den« (AVA, 40/1, Karton 2788, Zl. 10546/911). Daraus lässt sich ein größeres
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437