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176 Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie
Dolmetschkurs eingerichtet, um dem Missstand fehlender Dolmetscher abzu
helfen (Pethö 1998 : 168, 368).
Der Beitrag der Mitarbeiter des Evidenzbureaus sowie der zahlreichen in
Kriegszeiten zu Spionagezwecken eingesetzten Dolmetscher war in seiner aus
schließlichen Funktionsbezogenheit zu starr, als dass von einer »interkulturel
len« Kommunikationsform gesprochen werden könnte. Es fand ja vordergründig
keine Kommunikation im Sinne einer Verständigung zwischen den involvierten
Menschen statt, sondern ein »Abhören« und »Auskundschaften«, das erst nach
Einholen dieser (fremdsprachigen und kulturell konnotierten) Informationen,
intrakulturell und über Dolmetscher oder zumindest Sprachkundige, weiterge
geben und aufbereitet wurde. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist die Rolle
des Evidenzbureaus und seiner Beamten und der Unzahl an Dolmetschern für
die Konstruktion des jeweils »Anderen« von enormer Bedeutung, wurde doch
durch die Interzepte, die Tätigkeit der Spionage an sich, ein oft bereits vorkons
truiertes Feindbild des »Anderen« nicht nur geschaffen, sondern in vielen Fällen
bestätigt und dadurch verfestigt. Das Moment des »Aushandelns« war bei dieser
Tätigkeit aufgrund der mangelnden Interaktion zwischen etwaigen Akteuren
fast vollkommen ausgeschaltet.
Allgemeine Korrespondenz nach dem Ausgleich von 1867
Nach dem Ausgleich mit Ungarn blieb die Außenpolitik der beiden Reichshälf
ten in gemeinsamer Verwaltung erhalten, wurde jedoch grundsätzlich umstruk
turiert. Da, wie erwähnt, durch den Artikel 44 des Nationalitätengesetzes von
1868 in Transleithanien Ungarisch zur Staatssprache erhoben wurde, war auch
eine neue Regelung der sprachlichen Handhabe in der Korrespondenz zwischen
den verschiedenen Ministerien und anderen hohen Behörden einerseits und
den Gesandtschaften der Doppelmonarchie im Ausland andererseits notwendig
geworden. Diese Korrespondenz wurde durch zahlreiche Zirkulare reglemen
tiert. So legte etwa die »Zusammenstellung der Grundsätze, nach welchen in
sprachlicher Hinsicht die Correspondenz des Reichs Kriegsministeriums, des
gemeinsamen Finanzministeriums und des gemeinsamen Obersten Rechnungs
hofes« (HHStA, Administrative Registratur, Fach 4, Karton 428, »Generalia ab
1895«) im Detail fest, mit welchen Behörden die genannten Ministerien bzw.
der Oberste Rechnungshof auf Ungarisch, mit welchen auf Deutsch und mit
welchen ausnahmslos doppelsprachig zu korrespondieren sei. Für den Schrift
verkehr zwischen dem Reichs Kriegsministerium und ungarischen Behörden,
die keine Zentralbehörden waren, sowie mit ungarischen Parteien war zudem
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437