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Der kulturkonstruierende Beitrag der Translationspraxis 191
ist : die Sprach , Kultur und Vermittlungskompetenz ihrer Ausführenden. Von
dieser ist – abgesehen von einer ersten, frühen Phase der Dolmetscherausbil
dung von »Sprachknaben« in Istanbul – kaum die Rede. Sie wird offensichtlich
dort, wo sie als besonders notwendig empfunden wird, als selbstverständlich
vorausgesetzt, in den meisten Fällen jedoch ist davon auszugehen, dass die Not
wendigkeit dieser Kompetenzen als solche gar nicht erkannt und deshalb auch
nicht eingefordert werden konnten. Wie gezeigt wurde, entsteht in der For
mulierung der qualitativen Anforderungen etwa für die Einstellung von Über
setzern des Redaktionsbureaus des Reichsgesetzblattes nur sehr zögerlich die
Einsicht, dass auch verfeinerte sprachliche Fähigkeiten für die Ausübung dieser
Tätigkeit notwendig seien, was einen Ansatz für das Bewusstsein des Bedarfs
an – im weitesten Sinn – translatorische Fähigkeiten wenigstens vermuten lässt.
Zumindest schien ein gewisses Problembewusstsein im Entstehen begriffen zu
sein.
Ein letzter, jedoch nicht weniger wichtiger Aspekt ist die vor allem von Ins
titutionen eingenommene Vermittlungsrolle. Das Gesetz bzw. die Institutionen,
die den verschiedenen gesetzlichen Bestimmungen zu ihrer Durchführung ver
helfen sollten, gelten als Relaisstationen zwischen der zentralen Staatsgewalt
und den BürgerInnen. Diesen Institutionen sind zwei Momente eingeschrie
ben, die zueinander vordergründig in Widerspruch stehen : das Moment der
Vermittlung und jenes der Blockierung. Wenn mit Stephen Greenblatt, dem
herausragenden Vertreter des New Historicism, davon ausgegangen wird, dass
eine unbeschränkte »Zirkulation« – worunter hier im weitesten Sinn »Vermitt
lung« verstanden wird – kultureller Elemente zum Zusammenbruch kultureller
Identitäten führen kann, dann kommt dem Phänomen der Blockierung eine
ausschlaggebende Rolle zu :
Eine Kultur ist eine an sich instabile, vermittelnde Art und Weise der Gestaltung
und Erfahrung. Nur durch gesellschaftliche Durchsetzung einer imaginären Ord
nung der Ausschließung – durch das Funktionieren dessen, was ich im folgenden
als »Blockierung« bezeichnen werde – kann Kultur als eine stabile Entität fingiert
werden […]. Eine solche Blockierung findet andauernd statt – eine unendliche,
unbeschränkte, undifferenzierte Zirkulation würde zum vollständigen Zusammen
bruch der kulturellen Identität führen –, ist jedoch niemals absolut. (Greenblatt
1998 : 185)
Im Rahmen des hier entwickelten Konzepts von Kultur als dynamisches Ge
flecht sozialer Kodierungen, das der Vorstellung von Kultur als stabile Einheit
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437