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Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von Positionierungskämpfen 209
und von jenen Produkten, die eher vom allgemeinen Geschäftsbereich bzw. von
wirtschaftlichen Unternehmen gefordert werden, anderen Regeln. Das verhält
nismäßig späte Auftreten eines eigenständigen, unabhängigen privaten Über
setzungssektors im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist unter anderem auf die
Gewerbeordnung von 1859 zurückzuführen, die die Gründung von Unterneh
men liberalisierte. Obwohl sich der Staat vorbehielt, die Richtung und vor allem
die Grenzen dieser Aktivitäten festzulegen, wurde der privatwirtschaftlich ori
entierten unternehmerischen Initiative ein relativ breiter Spielraum geboten.187
Im Zuge dieser Gewerbefreiheit kam es auch sukzessive zur Gründung von
Übersetzungsbüros.188 Es ist anzunehmen, dass vor der Gründung dieser Büros
die Erledigung anfallender Übersetzungsarbeiten »intern« oder »extern« in der
Hand von sprachkundigen Personen im Umfeld der Unternehmen bzw. Firmen
lag, die Übersetzungsdienste benötigten.
Der durch die stetige Professionalisierung des Übersetzungssektors beschleu
nigte Autonomisierungsprozess bezieht sich im vorliegenden Kontext nicht
wie im künstlerischen oder literarischen Feld auf die sukzessive Befreiung der
KünstlerInnen vom Schutz klerikaler und politischer Kräfte, sondern auf die
Abkoppelung der Tätigkeit der ÜbersetzerInnen von unstrukturierten und nur
einen geringen Organisationsgrad aufweisenden Handlungsgefügen und die
allmähliche Transformation zu Produktionsverhältnissen, die durch das Zusam
menwirken von Dispositionen, AkteurInnen und strukturellen Vorgaben des
»Vermittlungsraumes« in kohärenter Weise bestimmt sind. In diesem Sinn ist
die Autonomisierung des privaten Übersetzungssektors dem allgemeinen Pro
187 Zu weiteren Details der Gewerbeordnung von 1859 und den diesbezüglichen Novellen von 1883
und 1885 vgl. Matis (1973 : 48f.). Zu den Rahmenbedingungen für diese wirtschaftlichen Ent
wicklungen vgl. Pichler (2003).
188 Ob es sich bei Übersetzungs bzw. Dolmetschbüros um »freie« oder »concessionirte Gewerbe«
handelte, ist im Detail nicht festzustellen. Sie scheinen in den als »concessionirt« bezeichneten
Gewerben nicht auf (vgl. Gesetze und Vorschriften 1860 : 7), bezeichnen sich jedoch selbst etwa
als »Behördlich concessionirte Dolmetschkanzlei« (siehe Pukl, Jakob in Lehmann 1892 : 1585).
Andererseits sagt das Kundmachungspatent vom 20. Dezember 1859 (RGBl. 227/1859), das
als Präambel den verschiedenen Ausgaben der Gewerbeordnung von 1859 vorangestellt ist, aus,
dass das Gesetz unter anderem auf die »literarische Tätigkeit, das Selbstverlagsrecht der Autoren
und die Ausübung der schönen Künste« nicht anzuwenden ist. Falls die Tätigkeit des Überset
zens zu dieser Kategorie zu zählen ist, unterliegt es »den dafür bestehenden Vorschriften« (ibid.).
Als »concessionirte Büros« sind sie jedenfalls nicht nach der derzeit üblichen Terminologie von
»konzessioniert« zu verstehen, sondern lediglich als »gewerbegerecht«. Sie unterlagen einer be
sonderen Bewilligung und waren auch für Frauen zugänglich (siehe §§ 2–4 der Gewerbeordnung
von 1859, in : Gesetze und Vorschriften 1860 : 4).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437