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228 Der »Nutzen fürs geistige Leben« : Übersetzungspolitik in der Habsburgermonarchie
Schnitzlers im literarischen Feld, wo nach Bourdieu im Rahmen der »symbo
lischen Revolution«, mit der sich die KünstlerInnen und LiteratInnen um die
Jahrhundertwende von der bürgerlichen Nachfrage loszulösen versuchen, indem
sie keinen Herrn und Meister anerkennen wollen als ihre Kunst bzw. Literatur,
der Markt allmählich zum Verschwinden gebracht wird und demnach die Posi
tion im Feld mit der Zunahme an symbolischem Kapital – die zumeist mit einer
Abnahme des ökonomischen Wertes der literarischen Leistungen einhergeht –
gefestigt wird (vgl. Bourdieu 1999 : 134).
1912 kam es zu einem weiteren heftigen Streit um die Preisverleihung, als
unter anderen Siegfried Trebitsch zu den Preisträgern zählte und eine Ehren
gabe von 1.000 Kronen erhielt.197 Trebitsch (1868–1956) war Lyriker, Erzähler
und Dramatiker, erwarb jedoch als Schriftsteller kaum größeren Ruhm.198 Der
Nachwelt bekannt blieb er als Vermittler von George Bernard Shaw, zu des
sen einzig berechtigtem Übersetzer und Bevollmächtigten er 1903 wurde. Shaw
teilte alle Einkünfte aus seinen deutschen Buchausgaben und Aufführungen mit
Trebitsch zur Hälfte, eine zur damaligen Zeit von mehreren Verlagen und Au
toren geübte Praxis. Die Übersetzungen wurden von der Kritik schon bald als
fehlerhaft, papieren und »unsprechbar« angegriffen, was den Verlag S. Fischer
schließlich dazu veranlasste, einen jungen Dichter mit der Korrektur der tre
bitschschen Übersetzungen zu beauftragen. Trebitsch war sich seiner überset
zerischen Schwächen durchaus bewusst und hatte sich bereiterklärt, diese Kor
rekturarbeiten aus eigener Tasche zu bezahlen. Doch noch die von ihm selbst
durchgesehene neue Shaw Gesamtausgabe von 1946 wies arge Mängel auf –
»Es war hoffnungslos« (Mendelssohn 1970 : 413ff.).
Was nun die Probleme um die Preisverleihung anbelangt, so wurden einige
Mitglieder des Kuratoriums beschuldigt, das Werk Trebitschs gar nicht gelesen
197 Im Laufe der Zeit erhöhte sich die Zahl der PreisträgerInnen, die den Bauernfeldpreis pro Jahr
erhielten. So wurde er 1917 an sechs SchriftstellerInnen verliehen. Die Vossische Zeitung, Berlin,
kommentierte dies mit dem Hinweis, »die Preisrichter wollen sich’s mit keiner [literarischen
Gruppe] verderben«, und da die Jury offensichtlich einen bestimmten Turnus eingeführt habe,
empfiehlt die Zeitung »nur Geduld, auch die Mittelmäßigsten kommen einmal zur ›Ehrung‹«
(Hoffmann 1917 : 5).
198 Mendelssohn bezeichnet Trebitsch gar als »Schnitzler des kleinen Mannes«, stapfte Trebitsch
doch »ein Menschenalter lang unbekümmert in Schnitzlers Fußstapfen einher, vielleicht ohne es
überhaupt gwahr zu sein. Er war ein Epigone, und Epigonen werden […] auch rasch vergessen«
(Mendelssohn 1970 : 412). Trebitsch war auch als Übersetzer aus dem Französischen (Georges
Courteline, Georges Rodenbach, Paul Verlaine) und aus dem Italienischen (Angelo de Guberna
tis) tätig.
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437