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264 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
prägten politischen Kultur der Jahrhundertwende und hebt die Zersplitterung
der unterschiedlichen Gruppen von Intellektuellen und die auch damit einher
gehende kulturelle Fragmentiertheit hervor.
Die hier bereits anklingende Frage der Identität wird von zwei bedeutenden
Studien in den Mittelpunkt gerückt. Nach Jacques Le Rider sind es vor allem
die Identitätskrisen der intellektuellen Eliten jüdischer Herkunft sowie der Rol
lenkonflikt zwischen den Geschlechtern, die das Wesentliche der Moderne aus
machen (Le Rider 1990). Ähnlich verfährt Michael Pollak in seinem Werk Wien
1900. Eine verletzte Identität223 (Pollak 1997), nur »soziologisch gewendet« : Die
Aufarbeitung der »verletzten Identität« der Künstler, Intellektuellen und Wis
senschaftler erfolgt im Kontext einer Analyse der sich rasch wandelnden Genese
und Struktur des literarischen und künstlerischen Feldes und seiner Spielregeln.
Zur Herausarbeitung der Strukturwandlungen verbindet Pollak eine Struktur
analyse des Marktes mit den strategischen Verhaltensmustern der Schriftsteller
und Künstler mit ihren Werken.
Weniger soziologisch als kulturwissenschaftlich orientiert sind jene Konzepte,
die mit dem von Lyotard eingeläuteten Ende der »grand récits« individuelle und
kollektive Legitimierungen, zu denen auch die Herausbildung von Identitäten
zählt, infrage stellen und sich mit Fragen der Pluralität in der Habsburgermo
narchie befassen ; auf diese Art wird versucht, sowohl die Befindlichkeiten der
AkteurInnen und ihrer sozialen Bedingtheiten als auch die Wechselbezüge zwi
schen den für die Habsburgermonarchie konstitutiven Elementen von Vielfalt
und Fragmentiertheit nachzuzeichnen. Laut Csáky ist die Pluralität der zent
raleuropäischen Region in ihrer ethnischen Vielfalt und der Polyglossie ihrer
BewohnerInnen ebenso zu verorten wie in der kulturellen Differenziertheit, die
sich nicht zuletzt aus der Co Präsenz der drei monotheistischen Weltreligio
nen ergibt (Csáky 2002b).224 Die gegenseitigen Durchdringungen bewirken im
habsburgischen Kontext eine Sicht von Kultur, die auf den krisenhaften Ablauf
kultureller Prozesse aufmerksam zu machen versucht und nicht das Gemein
same, sondern die Differenz in den Vordergrund rückt, womit ein Umdenken
223 Pollak begreift Identität nicht substanzialistisch als faktische Gegebenheit, sondern als eine in
einem »instabilen Gleichgewicht befindliche fragile Konstruktion« (Pfeuffer 1997 : 14).
224 Vgl. dazu Manfried Welan, der das Konzept des »Pluralismus« eher als soziale Kategorie einsetzt :
»Der Wiener Liberalismus des ›Leben und leben lassen‹ ließ, repressiv und tolerant zugleich, dem
altösterreichischen Pluralismus Spielräume, aber nicht Herrschaftsräume. Es war insbesondere
der Pluralismus eines Dutzends von Nationen und Sprachen, eines Dutzends kleiner Religi
onen neben der großen katholischen Kirche, ein Pluralismus der Ungleichheiten« (Welan 1986 : 43,
Hervorh.v.mir).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437