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356 Der Vermittlungsraum italienischer Übersetzungen
setzungen aus verschiedenen Sprachen sind ein beredtes Zeugnis für diese Ent
wicklungen, wie ein Blick auf die steigende Gesamtzahl an Translaten gegen
Ende des 19. Jahrhunderts – auch nach Sprachen aufgefächert – und auf die
Differenzierung nach Genres im Zeitverlauf zeigt. Sie spiegeln auch die damit
einhergehenden geänderten Lesemotivationen von einer »aktiven Kommuni
kation über Lektüre innerhalb einer literarisch geprägten Gesellschaftskultur«
(Wittmann 1999 : 290) zu einer eher passiven Aufnahme der Lektüre wider, die
aus der sozial hetereogenen Zusammensetzung des Lesepublikums und einer
zunehmenden Ausformung von Geschmackspräferenzen resultiert.
Für die Rekonstruktion des Vermittlungsraumes sind in diesem Zusammen
hang überdies die verschiedenen Publikationsformen des Kulturprodukts Über
setzung relevant, die letztendlich nicht nur zur Positionierung eines Autors oder
einer Autorin bzw. einer einzelnen Gattung oder auch einer ganzen literarischen
Strömung im (literarischen) Feld von Relevanz ist, sondern vor allem für die
Aufdeckung der jedem Übersetzungsprozess zugrunde liegenden Funktions
mechanismen. Zu diesen Publikationsformen zählen Anthologien oder auch
Reihen, zusätzlich steuernd sind Nachschlagewerke und Kompendien wie etwa
Literaturgeschichten.
Das Verfahren der Anthologie als Neuorganisation von Texten verschiedener
AutorInnen, Epochen, Gattungen, Strömungen oder eines bestimmten The
men bzw. Motivbereichs impliziert von vornherein gewisse Selektionsmecha
nismen, die in ein »patronage system« eingebunden sind und ein entscheidendes
Element bei der Konstitution des Bildes, das sich ein Leser oder eine Leserin
von italienischer Literatur im deutschsprachigen Raum macht, darstellen.286 Die
von Elisabeth Arend Schwarz aufgeworfene Frage, inwieweit sich aus Antho
logien ein Kanon von AutorInnen und Werken rekonstruieren lässt, der frei
lich erst durch eine Gesamtbetrachtung dieser Anthologien mit den monogra
fisch oder in Zeitschriften vorliegenden Übersetzungen überprüft werden kann
(Arend Schwarz 1993a : 99), ist für das vorliegende Korpus insofern nicht zu
beantworten, als hier keine Anthologie von aus dem Italienischen übersetzten
286 Vgl. dazu die Ausführungen von Elisabeth Arend Schwarz, die sich in ihrer Analyse von An
thologien italienischer Literatur auf den gesamten deutschen Sprachraum vom 18. Jahrhundert
bis zur Gegenwartsliteratur bezieht (Arend Schwarz 1993a). Harald Kittel reißt in seinen kur
sorischen Bemerkungen zur Bedeutung von »Anthologien indigener und übersetzter Literatur«
ebenso die Frage der Selektion an und weist auf die Aspekte hin, die bei einer systematischen
Aufarbeitung solcher Anthologien zu berücksichtigen sind, wie etwa die Existenz unterschied
licher Literaturbegriffe in verschiedenen Kulturen, die Schwächung traditioneller Genreklassifi
kationen u.v.m. (Kittel 2004 : 268ff.).
Die vielsprachige Seele Kakaniens
Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die vielsprachige Seele Kakaniens
- Subtitle
- Übersetzen und Dolmetschen in der Habsburgermonarchie 1848 bis 1918
- Author
- Michaela Wolf
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78829-4
- Size
- 15.5 x 23.5 cm
- Pages
- 442
- Categories
- Geschichte Vor 1918
Table of contents
- Dankesworte 11
- Einleitung 13
- Erstes Kapitel
- Zweites Kapitel
- Drittes Kapitel
- Viertes Kapitel
- Die translatorische Praxis in der »großartigen Versuchsstation« der Habsburgermonarchie 87
- »Habitualisiertes Übersetzen« 90
- »Institutionalisiertes Übersetzen« 103
- Kontakt zwischen Behörden und Parteien 120
- Dolmetschen und Übersetzen bei Gericht 128
- Die Übersetzung von Gesetzestexten 142
- Translationstätigkeit im Ministerium des Äußern und im
- Kriegsministerium 165
- Fünftes Kapitel
- Sechstes Kapitel
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- 1. Institutionalisierungstendenzen privater Übersetzung 202
- 2. Der private Übersetzungssektor als Schauplatz von
- Positionierungskämpfen 208
- »Prompt, zu jeder Tageszeit« : der private Übersetzungssektor 202
- Siebtes Kapitel
- Achtes Kapitel
- Neuntes Kapitel
- 4. Folgerungen aus der Rekonstruktion des »translatorischen
- Zehntes Kapitel
- Der Vielvölkerstaat als Interaktionsfeld von Übersetzungsleistungen – Schlussbetrachtungen 362
- Verzeichnis der in der Habsburgermonarchie erschienenen Übersetzungen Italienisch – Deutsch 1848–1918 378
- Verzeichnis der Tabellen, Grafiken und Abkürzungen 392
- Tabellen 392
- Grafiken 393
- Abkürzungen 393
- Literaturverzeichnis 394
- Quellen 394
- Sekundärliteratur 396
- Sachregister 434
- Personenregister 437