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REISEBERICHT
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schen, wenn der Riegel in die Vertiefung der seitli-
chen Türlaibung geschoben und dadurch die Kerben
im Riegel genau unter den Fallen positioniert sind und
die Tür auf diese Weise geschlossen wurde. Sind die
Fallen heruntergerutscht, kann der Riegel nicht ohne
Einsatz des Schlüssels zurückgeschoben und die Tür
wieder geöffnet werden.
Das Schloss verfügt über den horizontalen Kanal für
den Riegel und darüber über meist zwei integrier-
te Schlitze, in denen die zwei Fallen vertikal geführt
werden. Außerdem gibt es an der Seite die etwas
vertiefte Schlüsselöffnung mit einem Profil, das mit
jener der Fallen und dem Schlüssel übereinstimmen
muss. Diese Öffnung setzt sich durch die erste Falle,
den Steg des Schlosses bis zur zweiten Falle mit glei-
chem Profil fort.
Die Fallen sind bei diesen Schlössern keine runden
Stifte wie im Jemen, sondern flache meist rektangu-
lierte Holzstäbe, die genau in die vertikalen Schlitze
des Schlosses passen. Von der Breitseite zeigen bei-
de Fallen je eine durchgehende Öffnung mit einem
individuell geformten Profil, das bei beiden Stäben
die gleiche Profilierung aufweisen muss wie bei dem
Schlüsselloch und als Positivform beim Schlüssel.
Der Schlüssel besteht meist aus einem runden Stab,
den man in der Hand hält. Aus diesem tritt in Längs-
richtung am unteren Rand der Stirn ein weiterer viel
dünnerer Stab vor, auf dem in den Abständen der
Fallen im Schloss vom Beginn des Schlüssellochs ge-
messen wieder zwei Holzscheiben montiert sind, die
genau so geformt sind, wie die Ausnehmungen bei
den Fallen und auch wie das Schlüsselloch. Die Ab-
stände der Fallen zueinander können variiert werden
und auch im Innern die Profile nochmals leicht redu-
ziert werden. So gibt es auch hier unendlich viele
Varianten an Schlössern und Schlüsseln.
Wenn der Schlüssel nun mit dem dünnen Stab unten
bis zum Anschlag in das Schlüsselloch eingeschoben
worden ist, finden sich die zwei Scheiben genau auf
Höhe der Fallen. Nun kann man die zwei Fallen an-
heben, indem man den Schlüssel nach oben hebt.
Da der dünne Stab des Schlüssels unten montiert ist,
beträgt die vertikale Toleranz die Höhe der Scheiben
des Schlüssels minus der Stärke des dünnen Schlüssel-
stabes. Das ist genau der Hub, der notwendig ist, um
die Fallen aus den Kerben in dem Riegel zu heben.
Danach kann der Riegel wieder seitlich verschoben
werden. Solange die Fallen oben gehalten werden,
ist der Riegel verschiebbar und solange kann man
den Schlüssel nicht aus dem Schloss ziehen. Erst nach-
dem die Tür verschlossen ist, kann dieser wieder ab-
gezogen werden.
Die weite geografische Verbreitung der hölzernen
Fallenschlösser und ihre ausgeklügelte und weitge-
hend einheitliche Konstruktionsweise sowie der sehr
ähnliche Dekor auf den Schlössern in sehr weit aus-
einanderliegenden Kulturräumen sind starke Indizien
dafür, dass die hölzernen Türschlösser schon lange
vor der Römerzeit im arabischen Raum und darüber
hinaus weit verbreitet waren. Die Entwicklung der
Verschlusstechnik dürfte sich relativ sicher in einem
längeren Prozess an Holztüren mit verschließbaren
Riegeln vollzogen haben, die mit der Zeit zu immer
komplizierteren Türschlössern führten. Die Hethiter
hatten bereits im 3. Jt. v. Chr. und erst sehr viel später
auch die Römer Schlösser aus Metall. Die der Römer
waren schon etwas kompakter gebaut.
Man kann sicher davon ausgehen, dass praktisch
überall in Zonen mit hochentwickelten Kulturen und
Zivilisationen das Sicherheitsbedürfnis ausgeprägt
war und daher auch zunächst unterschiedliche Holz-
schlossvarianten entwickelt wurden. In relativ abge-
schiedenen Gebieten haben sich mitunter auch an-
dersartige Türschlösser bis heute erhalten.
Vergleich mit Türschlössern auf Tinos
So gibt es auf der griechischen Kykladeninsel Tinos an
manchen entlegenen älteren Gebäuden noch heute
hölzerne Gebäudeverschlüsse (Amirales 1996:245,
246, 249, Abb. 55; 251, Abb. 56; 253, Abb. 57).
Bei diesen Schlössern handelt es sich im Vergleich zu
den Fallenschlössern im Jemen und in Marokko um
eine etwas anders konstruierte Art von Fallenschlös-
sern. Auch diese sind sicher nicht als isolierte Ent-
wicklung zu betrachten, da es ähnliche Schlösser in
Mesopotamien gibt, die auf eine sehr lange Tradition
zurückblicken sollen (Hohmann 2012:211).
Die Schlösser wurden früher auf Tinos von Tischlern
in den Dörfern aus einem besonders harten Holz her-
gestellt. Die Härte des Holzes war vor allem für den
sehr filigranen Schlüssel notwendig.
Die alten Türschlösser bestehen auch hier aus einem
fix auf dem Türblatt montierten Schloss, einem hori-
zontal verschiebbaren Holzriegel, der durch einen ho-
rizontalen Kanal auf der Rückseite des Schlosses auf
dem Türblatt verschoben werden kann und meist aus
zwei Fallen im Schlosskörper sowie einem Schlüssel.
Der Holzriegel kann in eine Vertiefung der seit-
lichen Türlaibung geschoben werden, wodurch die
Tür versperrt wird. An der Oberseite des Riegels gibt
es zwei Einkerbungen, in welche diese eher breiten
Fallen aus dem Schlosskörper oberhalb des horizon-
talen Kanals auf Grund der Schwerkraft herunterrut-
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Title
- Jemen
- Subtitle
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 308
- Keywords
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix