Page - 209 - in Jemen - Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
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REISE DURCH DEN JEMEN
209 sie auf der ganzen langen gemeinsamen Fahrt im
Verhältnis zum bekannten italienischen Temperament
nur wenig und einsilbig miteinander oder mit uns ge-
sprochen.
In Huth legten wir eine Mittagspause ein, nahmen in
einem Restaurant, das auch von vielen Gruppenrei-
sen angefahren wird, ein Essen ein. Huth liegt etwa
auf halber Strecke zwischen Sanaa und Saada. Das
Menü sollte erst 100 Real kosten, ein anderer An-
gestellter wollte dann aber nur 85 Real dafür haben,
was zeigt, wie individuell die Preise für Touristen fest-
gesetzt werden. Ähnlich wie in Gizeh zeigte auch
dieses kleine Erlebnis wieder, dass von Touristen fast
nie der von Einheimischen geforderte Preis, sondern
in der Regel deutlich mehr verlangt wird.
Man sollte dazu allerdings wissen, dass Preise tra-
ditionell in den Ländern des Orients nicht fix sind.
Preise müssen individuell zwischen Käufer und Ver-
käufer ausgehandelt werden. Daher verlangt auch
ein Händler im Bazar immer mehr, als er eigentlich
vom Kunden erwartet. Der Kunde seinerseits wird im-
mer einen Preis deutlich unter dem nennen, den er
eigentlich zu zahlen bereit ist. Der zu zahlende Preis
wird dann in einem oft langen Verhandlungsprozess
bei vielen Gläsern Tee ermittelt.
Wenn ein Europäer auf einem orientalischen Markt
den geforderten Preis ohne Diskussion zahlt, macht er
den Verkäufer eher unglücklich und gibt ihm das Ge-
fühl, ein schlechter Händler zu sein, weil er den Kun-
den falsch eingeschätzt hat. Dieser wäre vielleicht
bereit gewesen noch viel mehr zu zahlen. Sein Preis-
angebot war also zu niedrig angesetzt.
Das hängt auch mit der islamischen Religion zusam-
men, die sehr auf sozialen Ausgleich gerichtet ist, also
bei Wohlhabenden eine größere Handelsspanne er-
laubt als bei einem Niedrigverdiener. Natürlich kann
man in einem Restaurant nicht und noch weniger in
einem Supermarkt mit angeschriebenen Preisen über
den Preis verhandeln – auf dem Markt hingegen wird
es in der Regel erwartet.
Amran
Um ca. 14.00 Uhr fuhren wir mit einer anderen itali-
enischen Reisegruppe die relativ kurze Strecke nach
Amran in Richtung Sanaa weiter. Auf der Fahrt be-
obachteten wir zahlreiche Lehmbauten, die in den
Erdgeschoßen nur schießschartenartige Öffnungen
haben und oft nur im obersten Geschoß große
Fenster zeigen. In Amran rollten wir um ca.15.30
Uhr ein und gingen durch das östliche Stadttor in
die Altstadt. Das mehrgeschoßige Tor wurde in min-
geringer Geschwindigkeit kamen wir in der kleinen
Siedlung am Fuße des Bergmassivs an, von der wir
unsere Wanderung am Vortag begonnen hatten.
Hier sollten die Touristen ihre Fahrzeuge wechseln.
Alle Fahrzeuge, die zwei, mit denen wir vom Berg
heruntergefahren waren, und auch die zwei Rover,
mit denen die italienische Gruppe im Jemen unter-
wegs war, standen in einem von Gebäuden um-
ringten Hof mit nur einer Ausfahrt. Wir zahlten den
vereinbarten Betrag. Das musste einer der Italiener
gesehen haben, obwohl ich mich bemüht hatte, es
verdeckt zu machen. Daraufhin wollten die Italiener
auch weniger zahlen.
Uns war der Vorgang höchst unangenehm und ich
bot unserem Fahrer an, mehr zu zahlen. Der aber
lachte nur und sagte, dass “tamam” eben “tamam”
sei – abgemacht ist abgemacht! Da die Jemeniten
andererseits auf dem mit den Italienern am Vortag
vereinbarten Preis ebenfalls bestanden, versuchten
die Italiener das Problem dadurch zu lösen, dass
sie einfach einen niedrigeren Betrag auf den Tisch
legten und schnell in ihre Fahrzeuge einsteigen woll-
ten, um ohne Konsens abzureisen. Daran wurden
sie allerdings blitzschnell von zwei Einheimischen
mit vorgehaltener Kalaschnikow und den zwei sich
fast zeitgleich in der Ausfahrt quer stellenden Toyo-
tas gehindert. Die Aktion muss schon vorher trainiert
worden sein, so reibungslos und schnell lief alles von
Seiten der Jemeniten ab.
Was blieb den Italienern danach übrig? Sie zahlten
nach dieser Aktion völlig bleich vor Schreck gerne sich
bedankend den geforderten vollen Betrag und schie-
nen froh, dass sie noch zahlen durften. Unser Fahrer
verabschiedete sich von uns sehr herzlich. Alle grüß-
ten freundlich, die Italiener vor allem erleichtert. Nach
einer etwas nachdrücklich vorgebrachten Bitte unseres
jemenitischen Fahrers nahmen sie uns sogar noch bis
zur Ortschaft Huth, also bis zur Hauptstraße mit.
Fahrt nach Sanaa
An der Strecke wuchsen Kakteen und dorniges hartes
Gestrüpp sowie viele kleine Flaschenbäume, die im
Jemen unter Schutz stehen. Im Umkreis der wenigen
Dörfer beobachteten wir Ziegen, die bis weit hinauf
in manche Bäume kletterten, um die wenigen harten
Blätter abzuzupfen, die sie auf diese Weise erreichen
konnten. Diese Region ist sehr karg, eine Herausfor-
derung für Menschen, Tiere und Pflanzen.
Um 12.45 kamen wir in Huth an und wünschten
den Italienern noch eine gute Weiterreise. Sie waren
vom Erlebten immer noch sehr geschockt. So hatten
Jemen
Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Title
- Jemen
- Subtitle
- Traumhafte Bauten, Wilde Landschaften
- Author
- Hasso Hohmann
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-670-3
- Size
- 20.0 x 27.0 cm
- Pages
- 308
- Keywords
- Vorderasien, arabische Halbinsel, Sanaa, Aden, Architektur
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorbemerkungen 7
- Einige Tage Ägypten 17
- Reise durch den Jemen 29
- Altstadt von Sanaa 33
- Kleidung von Männern und Frauen 42
- Die leichte Droge Kat 56
- Marib 60
- Die Salayman Ibn Dawud Moschee 73
- Säulen und ihre Kapitelle 74
- Flug ins Wadi Hadramaut 78
- Wasserhäuser 84
- Tarim 86
- Türen und ihre hölzernen Fallenschlösser 93
- Vergleich mit Türschlössern auf Tinos 100
- Mausoleum in Al Ghurfa 107
- Schibam 108
- Seiyun 124
- Auskragungen und Vorspanneffekte 133
- Hureida 139
- Hadjarein 142
- Chrecher 142
- Sif 144
- Bienenhaltung in Amphoren 152
- Al Mukalla 157
- Fahrt nach Aden 165
- Aden 168
- Taiz 175
- Saada 195
- Schahara 202
- Fahrt nach Sanaa 209
- Amran 209
- Thulla 213
- Kaukaban 218
- Kuchlan 224
- Al Qurazihah, ein Kral der Tihama 229
- Hodeida 233
- Zabid 236
- Hadjara 242
- Rauda 249
- Baynun 254
- Zurück entlang des Roten Meeres 268
- Siedlungsformen 273
- Bauformen 277
- Architekturdetails 287
- Apendix