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1.2 Künstlerauto/biographie | 51
1.2 Künstlerauto/biographie
Von Caitríona Ní Dhúill stammt der interessante Verweis auf den engen Konnex
zwischen biographischer Semantik und der Sprache der bildenden Künste.57 Tat-
sächlich findet sich in auto/biographischen Darstellungen oder auch darauf bezoge-
nen theoretischen Reflexionen ein breites Set an bildhaften Metaphern. Beginnend
mit dem „Lebensbild“ oder dem „Porträt“ verwenden wir ganz selbstverständlich
auch für die textuelle Darstellung von Menschen Bezeichnungen, die dem Vokabu-
lar bildhafter Darstellungen entnommen sind. Wir „zeichnen ein Bild“ eines Men-
schen, auch in Texten. Die Doppelfunktion findet sich schon im Ausgangsbegriff des
griechischen gráphein (γράφειν), das sowohl zeichnen wie auch schreiben bedeuten
kann. Sind ein Ölporträt und eine Biographie damit nur zwei verschiedene Medien
zur Umsetzung desselben Versuchs, nämlich einen Menschen und sein Leben dar-
stellen und festhalten zu wollen? Und: Rührt aus diesem Naheverhältnis die schon
so lange zurückreichende Tradition der Künstlerbiographik? Eine weitere Frage,
die sich vor diesem Hintergrund aufdrängt: Wenn bildende KünstlerInnen selbst
Auto/Biographien verfassen, zeigt sich der Einfluss der Bildsprache im geschriebe-
nen Wort auf besondere Weise? Bevor diese und weitere Fragen in Hinblick auf die
einzelnen hier untersuchten KünstlerInnenbiographien einer näheren Betrachtung
unterzogen werden, sollen zunächst grundlegende Fragen und Forschungsergeb-
nisse zur Künstlerbiographik und dem „Bild“ des Künstlers beziehungsweise der
Künstlerin referiert und analysiert werden.
1.2.1 Von Vasaris Viten bis „Inventing Leonardo“: Zur Geschichte der
Künstlerbiographik
„Künstlerschaft definiert sich zunächst und vor allem über die ästhetische Produktion.
Sie ist es, die eine Person in den meisten Fällen erst ‚biographiewürdig‘ macht.“ 58
Die Künstlerauto/biographie ist eine Spezialform des Genres Biographie. Vergleich-
bar mit Herrscher- und Politikerbiographien erwies sie sich schon früh als bedeu-
tende biographische Gattungsform. Gemäß der bis in das 20. Jahrhundert hinein
ungebrochenen Vorstellung, dass lediglich das „herausragende“ Leben Biographie-
57 Caitríona Ní Dhúill, Lebensbilder. Biographie und die Sprache der bildenden Künste, in: Fetz (Hg.),
Biographie, 473–499.
58 Laferl/Tippner, Leben als Kunstwerk, 8.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463