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4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie | 319
stärker auch mit dezidiert politischer Botschaft auftraten. In Österreich waren dies
vornehmlich KünstlerInnen, die der sozialdemokratischen Bewegung nahestanden
und speziell in der Kulturpolitik des „Roten Wien“ eine zentrale Rolle einnahmen.
Otto Kris und Ernst Kurz haben darauf verwiesen, dass die Besonderheit in Be-
zug auf die „Legende vom Künstler“ darin bestehe, dass verschiedene Konzeptionen
einander nicht unbedingt ablösen müssten, sondern zu den bestehenden immer
wieder neue hinzukommen.22 Dies trifft auch auf die möglichen Konzeptionen der
politischen Rolle des Künstlers zu.
4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie
„Lieber alter Freund, man kann schon sagen, in äußeren Dingen haben wir alle seit 1914
keine Ruh’ mehr, es ist eine Weltenwende erster Klasse da.“ 23
Die „Weltenwende erster Klasse“, wie Kubin die vom Ersten Weltkrieg in Bewegung
gesetzten politischen und gesellschaftlichen Veränderungen bezeichnete, brachte
mit dem Jahr 1918 das Ende der Monarchie. Alfred Kubin, Oskar Kokoschka, Aloys
Wach, Erika Giovanna Klien und Margret Bilger wurden BürgerInnen der 1918 aus-
gerufenen Republik Deutsch-Österreich, die nach dem Friedensvertrag von St.
Ger-
main 1919 den Namen „Republik Österreich“ erhielt. Für zwei von ihnen lag ihr
Geburtsort nun außerhalb Österreichs: Kubin war 1877 im böhmischen Leitmeritz
(Litoměřice) geboren und Klien 1900 in Borgo Valsugana im italienischen Trentino.
Kokoschkas Familie (väterlicherseits) stammte ursprünglich aus Prag.
Je nach Dauer der Sozialisierung in der alten Welt der Monarchie und somit ab-
hängig vom Geburtsjahr fand diese Lebensperiode mehr oder weniger auto/biogra-
phischen Widerhall: Der 1877 geborene Alfred Kubin war am stärksten im alten
Österreich verwurzelt und kultivierte dieses in seiner rückblickenden Erinnerung
mit einem positiv-nostalgisierenden Bild. Auch bei dem 1886 geborenen Kokoschka
finden wir ein positiv geprägtes Bild der k. u. k. Monarchie, die in seiner Autobio-
graphie von ihm rückblickend als „Kulturcommonwealth“ bezeichnet wurde.24 Die
22 Vgl. Ernst Kris/Otto Kurz, Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch, Frankfurt am
Main 1980, 27.
23 AK an Fritz Herzmanovsky-Orlando, Zwickledt Oktober/November 1934, zit. nach Fritz Herz-
manovsky-Orlando, Der Briefwechsel mit Alfred Kubin 1903 bis 1952. Hg. und kommentiert von
Christian Klein, Salzburg, Wien 1983, 272.
24 Oskar Kokoschka, Mein Leben. Vorwort und dokumentarische Mitarbeit von Remigius Netzer,
Wien 2008 [EA 1971], 45.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463