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2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ | 105
graphie – im Gegensatz zu den Briefen des Künstlers – nicht dezidiert betrachtet
oder bewertet, auch der Nationalsozialismus findet nur in aller Kürze rückblickend
eine negative Bewertung. Seine – auch in anderen autobiographischen Quellen stets
betonte – Selbsteinschätzung als „unpolitischer“ Künstler dominiert somit auch die
Autobiographie.
2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“
2.2.1 Der Künstler als Erzähler
„Für Olda – erzählt von O.K.“ 78
Oskar Kokoschka war zeitlebens ein engagierter Erzähler von Anekdoten und Erin-
nerungen. Erlebtes wurde dabei gerne variiert und ausgeschmückt, im Mittelpunkt
stand die gute, unterhaltsame Geschichte, nicht unbedingt die Faktentreue. Heinz
Spielmann schilderte dies einleitend zu seiner umfassenden Kokoschka-Monogra-
phie wie folgt:
„Je häufiger er eine Begebenheit aus seinem Leben, in eine Geschichte eingekleidet, phan-
tasievoll erzählte, umso mehr schmückte er sie aus, fügte Neues hinzu, auch etwas, das mit
seiner Biographie in keiner direkten Verbindung stand. […] Sich und anderen gegenüber
begründete er seinen freien Umgang mit Fakten – und den ihm ohnehin meist unsicher
im Gedächtnis gebliebenen Daten – mit der Feststellung, man müsse den Leuten etwas
bieten, sonst sei es langweilig.“79
Ähnlich beschrieb Kokoschkas Ehefrau Olda die Erzähl- und Fabulierlust des
Künstlers. Sie erläuterte auch, dass der Großteil der später publizierten autobiogra-
phischen Erzählungen in den 1930er- und 1940er-Jahren in Prag und England ent-
standen sei:
„Im Spätsommer 1934 kam Kokoschka aus Wien nach Prag, wo er dann vier Jahre leben
und arbeiten sollte. […] Kokoschka war der Ansicht, daß, wenn man mit Leuten zusam-
men war, man sie unterhalten müßte, sie – und sich selber – auf andere Gedanken bringen
als die der vorherrschenden ökonomischen und politischen Misere. […] Also erzählte
78 Widmung in Oskar Kokoschka (Hg.), Spur im Treibsand. Geschichten, Zürich 1956.
79 Heinz Spielmann, Oskar Kokoschka. Leben und Werk, Köln 2003, 9 u. 468.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463