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| 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum
Nationalsozialismus360
dem tschechoslowakischen Präsidenten Tomas Masaryk, den er Mitte der 1930er-
Jahre auch porträtieren sollte.165
Sein Verständnis eines (politisch) engagierten Künstlers postulierte er im Ent-
wurf seiner Autobiographie auch nochmals an späterer Stelle, an der es um seine
politischen Aktionen in England während des Zweiten Weltkriegs ging. Dabei kam
er indirekt auch nochmals auf die Dresdener Debatte zurück:
„Engagierter Maler heißt man das, aber ich glaube es ist schon ein Unterschied, wenn
einer (George Grosz etwa) im Berlin der zwanziger Jahre verhältnismäßig ruhig lebt und
das Nachtleben beobachtet und Huren und Spießer zeichnet, oder wenn jemand in Lon-
don solche Sachen zeigt wie ,What we are fighting for‘. […] Es war wieder eine Mahnung.
Und darin unterschied ich mich von den kommunistischen Manifesten, daß ich immer
für die Humanität und das humanitäre Gefühl oder die Vernunft aufgerufen habe. Und
nie für irgendeine Ideologie. Es war eigentlich meine letzte politische Aktion.“166
In diesem Zitat ist das Grundnarrativ von Kokoschkas politischem Selbstverständ-
nis zu finden: Sein zweifellos vorhandenes politisches Engagement sei immer ein in-
dividuelles und von grundsätzlichen Werten der Humanität getragenes gewesen, das
er in scharfem Widerstreit zu politischen Massenbewegungen zu stellen versuchte.
Insbesondere in der erst in den 1960er-Jahren entstandenen Autobiographie ging es
ihm dabei besonders um eine Distanznahme zur kommunistischen Bewegung. Dass
er für deren negatives Sinnbild auf George Grosz zurückgriff, der ihn 1920 in der
„Kunstlumpdebatte“ so scharf angegriffen hat, zeugt auch von der langanhaltenden
Kränkung.
4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik
Er schwärmte für Gleichheit und Brüderlichkeit.“167
Auch Aloys Wachs biographische Erfahrungen in Bezug auf Kriegsende und Repu-
blikgründung waren stärker mit Deutschland als mit Österreich verbunden. Schon
von 1914 bis 1916 war München sein Lebensmittelpunkt gewesen. Nach seinem
165 Vgl. die ausführlichen Erinnerungen dazu in Kokoschka, Mein Leben, 235 ff.
166 ZBZ, NL F. Witz, Karton 81, Fasz. 81.10, fol. 11
f.
167 Zeuginnenaussage über Aloys Wach in einem Verfahren gegen die Künstlerin Lessie Sachs 1919.
Vgl. Staatsarchiv München, Lessie Sachs, StAnw. Mü I, 2884, zit. in: Helmut Friedel/Justin Hoff-
mann (Hg.), Süddeutsche Freiheit. Kunst der Revolution in München 1919, München 1993, 212.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463