Page - 136 - in Zeitwesen - Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
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der Kokoschka nicht selbst der Schreibende war, aber jener, der die Erzählung do-
minierte. Die verschwommenen Genregrenzen der „Auto/Biographie“, wie von Liz
Stanley beschrieben, treten im Falle Kokoschkas besonders deutlich auf. In ihrem
Entstehungskontext unter Mitwirkung jeweils anderer Personen als AutorInnen un-
terscheiden sich die „Autobiographie“ von 1971 und früher verfasste „Biographien“
über den Künstler weniger deutlich, als man annehmen könnte. Angesichts der Re-
zeptionsgeschichte kann klar festgestellt werden, dass es dem Künstler weithin und
nachhaltig gelungen ist, durch sein „autobiographisches Bewusstsein“ sein eigenes
Identitätsnarrativ klar durchzusetzen.
2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden
2.3.1 Autobiographisches in Tagebüchern und Briefen
„Schreibst du etwas nieder, so ist’s im selben Momente verfehlt;
am meisten Selbstfixierungen.“ 185
Aloys Wach publizierte – anders als die zuvor beschriebenen Kollegen Kubin und
Kokoschka – keine Autobiographie und doch hinterließ er mehrere Texte, die auto/
biographischen Charakter haben. Als spiritueller und stets suchender Mensch un-
terzog Wach seinen eigenen Lebenslauf immer wieder einer kritischen Selbstrefle-
xion und teilte seine auto/biographischen Betrachtungen auch mit anderen. Auto/
biographische Rückblicke finden sich daher sowohl in seinen Briefen wie auch Tage-
buchaufzeichnungen. Gemein haben die Darstellungen, dass sie nicht nur Mittel der
Selbstbeschau waren, sondern eine solche auch theoretisch thematisierten, das heißt
Möglichkeiten, Sinn und Grenzen einer solchen auszuloten versuchten. Im Vergleich
zu den zuvor gezeigten Beispielen von Kubin und Kokoschka ist in Wachs Texten
ein stärkerer Selbst- als Außenbezug zu konstatieren. Auch wenn Wach, wie unten
noch näher dokumentiert, seine ausführlichste Lebensbeschreibung in Hinblick auf
eine geplante Publikation über sich verfasst hatte, schien es ihm beim Schreiben
doch vor allem um eine Form der Selbstversicherung und Reflexion zu gehen. In
die rückschauende Selbstbetrachtung flossen Wachs spirituelle Lebensbezüge, sein
Zugang zu Religion, Esoterik und Mystik intensiv ein. Wie immer beim auto/bio-
graphischen Schreiben ging es auch in Wachs Texten nicht nur um Zusammenhänge
des Vergangenen, sondern auch um die Verortung des Gegenwärtigen. Für die vor-
185 Aloys Wach, Biographische Notizen 1929 (mit Nachträgen 1931), Eintrag 25.3.1931.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463