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tigkeit des Nachlasses von Erika Giovanna Klien zu großen methodischen Proble-
men in der biographischen Forschung zur Künstlerin führen kann.
Eine Autobiographie hat Klien nicht publiziert und vermutlich auch nicht ge-
schrieben, weswegen eine solche auch nicht zur Analyse bereitsteht. Ich habe mich
daher für ein anderes autobiographisches Dokument entschieden, das im Folgenden
wie zuvor die Autobiographien von Kubin, Kokoschka und Wach einer detaillierten
Analyse hinsichtlich des autobiographischen Narrativs unterzogen werden soll. Es
handelt sich dabei um ein Hybrid aus Tagebuch und Brief, das gleichzeitig ein Hy-
brid aus Text und Bild darstellt: Erika Giovanna Kliens „Klessheimer Sendboten“.
2.4.2 Die „Klessheimer Sendboten“ (1927)
„Die Jungfrau von Klessheim – es lebe das Leben!!!“ 238
1904 hatten die beiden amerikanischen Tänzerinnen Isadora und Elizabeth Dun-
can in Berlin-Grunewald eine Internatsschule für Mädchen gegründet, in der der
neue freie Tanz im Mittelpunkt stand.239 1925 wurde erstmals in Schloss Kleßheim
bei Salzburg ein Sommerkurs abgehalten, im darauffolgenden Jahr übersiedelte die
Schule fix von Berlin nach Salzburg-Kleßheim.240 Schon 1923 hatte Elizabeth Dun-
can die Klasse des Kunstpädagogen Franz Čižek an der Wiener Kunstgewerbeschule
besucht, 1926 holte sie Klien auf Čižeks Empfehlung als Kunstlehrerin nach Salz-
burg.241 Klien hatte von 1919 bis 1924 die Wiener Kunstgewerbeschule besucht und
war stark geprägt von der Ausbildung bei Čižek, dem Reformer der Jugendkunst-
ausbildung und Begründer des „Kinetismus“.242 Erste Werbeaufträge, Entwürfe
für Banknoten oder Plakate, ein Atelier in Purkersdorf: Klien versuchte Mitte der
1920er-Jahre beruflich Fuß zu fassen. Der in der Duncan-Schule vertretene mo-
derne Ausdruckstanz und sein Verständnis von Rhythmus, Bewegung und Form
spiegelten vielfach genau wider, was Klien und die KinetistInnen in der bildenden
238 Erika Giovanna Klien, Klessheimer Sendbote „Skandal-Nachrichten 12.2.1927“.
239 Max Merz, Die Ziele und die Organisation der Elizabeth-Duncan-Schule, in: Elizabeth-Duncan-
Schule Marienhöhe/Darmstadt, Jena 1912; Frank-Manuel Peter (Hg.), Isadora & Elizabeth Duncan
in Deutschland. Isadora & Elizabeth Duncan in Germany, Köln 2000.
240 Vgl. Alfred Winter (Hg.), Schule der bewegten Körper. Elizabeth Duncan und Erika Giovanna
Klien in Salzburg, Salzburg 2001.
241 Mautner Markhof, Erika Giovanna Klien, 66.
242 Zur Franz Čižek vgl. v.a. Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.), Franz Čižek. Pionier der
Kunsterziehung (1865–1946), Wien 1985.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463