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1752.6
Erstes Resümee |
tät und Freiheit. Der dann doch vollzogene Verweis auf Paula Modersohn-Becker
zeigt zudem, dass es für Künstlerinnen jener Zeit noch wesentlich schwieriger war
auf role models zurückzugreifen. Hierfür boten männliche Künstlerbiographien oft
wenig Identifikationsmöglichkeit.295
2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei
„biographische Formeln“ verwenden
In der Analyse zentraler autobiographischer Texte der fünf ProtagonistInnen ging
es primär darum, die KünstlerInnen als AutobiographInnen darzustellen und ihren
Identitätsnarrativen im Kontext allgemeiner Künstlerbiographik nachzugehen. Die
These, dass bestimmende Formeln der Künstlerbiographik, wie sie von Ernst Kris
und Otto Kurz herausgearbeitet wurden, auch für die autobiographische Konstruk-
tion von zentraler Bedeutung sind, konnte klar bestätigt werden. Stereotype Narra-
tive vom Außenseiterkünstler, von der früh festgestellten Begabung, vom Gefühl des
Andersseins, um nur einige aufzuzählen, waren in den analysierten Texten mehr-
fach und in konstitutiver Weise anzutreffen.
Speziell für Alfred Kubin und Oskar Kokoschka konnte gezeigt werden, dass diese
beiden Künstler im Sinne eines autobiographical life bewusst an der Modellierung
ihres Künstlerbildes, das noch stark auf den Genietypus des 19. Jahrhunderts bezo-
gen war, beteiligt waren. Ein zentrales Mittel dafür war auto/biographische Präsenz.
Sowohl bei Kubin wie auch bei Kokoschka lässt sich nachweisen, wie nachhaltig
auto/biographische Selbstpositionierung – im Konkreten anhand der Autobiogra-
phien „Aus meinem Leben“ (Kubin) und „Mein Leben“ (Kokoschka) – in der kunst-
historischen Einschätzung und weiteren Biographik nachwirkt.
Dass sich diese Form bewusster auto/biographischer Inszenierung bei den beiden
Künstlerinnen Margret Bilger und Erika Giovanna Klien weniger stark zeigt, liegt
einerseits an der nicht vergleichbaren Quellensituation (es liegen keine dezidierten
Autobiographien vor), ist andererseits aber gleichzeitig Beleg dafür, dass das Mo-
dell des dem autobiographical life zugrundeliegenden Künstlergenies ein dezidiert
männliches war. Gerade die autobiographischen Aufzeichnungen Margret Bilgers
verdeutlichen, wie schwierig es für die Künstlerin war, vorherrschende Künstlerbil-
der mit einer ebenfalls internalisierten Geschlechterordnung zu vereinen. Aus dem
Repertoire an Künstlerstereotypen griff Bilger vor allem auf jene zurück, die noch
am ehesten mit ihrer Vorstellung von Weiblichkeit vereinbar waren – das Bild vom
295 Dazu noch ausführlicher im Kapitel 3.1.4.
Open-Access-Publikation im Sinne der Lizenz CC BY 4.0
Zeitwesen
Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Title
- Zeitwesen
- Subtitle
- Autobiographik österreichischer Künstlerinnen und Künstler im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft 1900–1945
- Author
- Birgit Kirchmayr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23310-7
- Size
- 17.3 x 24.5 cm
- Pages
- 468
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Einleitung 11
- Fragestellung und Ausgangsthesen 11
- Theoretische Bezugsrahmen 14
- Quellen 17
- „Zeitwesen“ oder: die ProtagonistInnen 20
- 1 Auto/Biographieforschung – KünstlerInnenforschung 33
- 2 KünstlerInnen über sich 79
- 2.1 Alfred Kubin – ein autobiographical life 80
- 2.2 Oskar Kokoschka – der biographische „Jongleur“ 105
- 2.3 Aloys Wach – Selbstbespiegelungen eines Suchenden 136
- 2.4 Erika Giovanna Klien – Autobiographische Fragmente 150
- 2.5 Margret Bilger – Autobiographisches wider Willen 164
- 2.6 Erstes Resümee oder: Wie KünstlerInnen über sich schreiben und dabei „biographische Formeln“ verwenden 175
- 3 KünstlerInnen und gesellschaftliche Diskurse 179
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 3.1.1 Alfred Kubin und die Misogynie der Moderne 185
- 3.1.2 „Mörder, Hoffnung der Frauen“: Oskar Kokoschka und die (modernen) Amazonen 206
- 3.1.3 Erika Giovanna Klien – schwierige Emanzipationswege einer „neuen“ Frau 214
- 3.1.4 Zerrissenheit und Identitätssuche – Geschlechterbilder bei Margret Bilger 220
- 3.2 Geschwindigkeit – Fortschrittseuphorie versus Kulturpessimismus 232
- 3.2.1 Alfred Kubins Traumstadt „Perle“ als Versuchsstation der Fortschrittsverweigerung 236
- 3.2.2 „Im Riesengefängnis New York“: Erika Giovanna Klien und ihr Verhältnis zu Stadt, Geschwindigkeit und Technik 245
- 3.2.3 Der Rückzug aufs Land: Alfred Kubin und Margret Bilger 256
- 3.2.4 „Haste nicht und raste nie. Sonst hastet die Neurasthenie“: ein Exkurs zum Nervendiskurs 264
- 3.3 Esoterik – Spirituelle Sinnsuche im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert 271
- 3.4. Zweites Resümee oder: Welche Diskurse der Moderne die KünstlerInnen bewegten 308
- 3.1 Der Geschlechterdiskurs des frühen 20. Jahrhunderts 180
- 4 KünstlerInnen und Politik – Von der Monarchie bis zum Nationalsozialismus 313
- 4.1 Die Legende vom unpolitischen Künstler – Zum Verständnis von Kunst und Politik bis 1945 315
- 4.2 Erster Weltkrieg und das Ende der k. u. k. Monarchie 319
- 4.3 Zwischen den Kriegen: Revolution(en), Republik(en), „Ständestaat“ 349
- 4.3.1 Der „Kunstlump“ – Oskar Kokoschka und die (deutsche) Revolution 353
- 4.3.2 Aloys Wach und die Münchner Räterepublik 360
- 4.3.3 Aus der Distanz: Erika Giovanna Klien und die österreichische Zwischenkriegszeit 368
- 4.3.4 „Weil ich nicht in der Vaterlandspartei bin“: Positionen zum „Ständestaat“ bei Oskar Kokoschka und Alfred Kubin 373
- 4.4 Nationalsozialismus 382
- 4.4.1 „… diese stummen Geister der Auflehnung“: Alfred Kubin und der Nationalsozialismus 385
- 4.4.2 Oskar Kokoschka: Selbstbildnis eines „entarteten“ Künstlers 397
- 4.4.3 „22° Waage“: Aloys Wach und der Nationalsozialismus 404
- 4.4.4 „… hätte ich aber die conträren Gesinnungen“: Margret Bilger und der Nationalsozialismus 409
- 4.5 Drittes Resümee oder: Wie politisch waren die „unpolitischen“ KünstlerInnen? 422
- Dank 426
- Abkürzungsverzeichnis 428
- Tabellen- und Abbildungsverzeichnis 429
- Quellen- und Literaturverzeichnis 431
- Archive und Sammlungen 431
- Zeitungen/Zeitschriften/Jahrbücher 432
- Literatur und gedruckte Quellen 432
- Personenregister 463