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Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Giften der Krankheit, mit Selbstmord und Fremdmord rotten sie es aus, das junge Geschlecht: Leopardi, der edel-traurige, welkt in düsterm Siechtum, Bellini, der Sänger der »Norma«, stirbt in magischem Beginn, Gribojedof, den hellsten Geist des erwachenden Rußlands, erdolcht in Tiflis ein Perser. Seinem Leichenwagen begegnet zufällig im Kaukasus Alexander Puschkin, dies neue Genie Rußlands, sein geistiges Morgenrot. Doch er hat nicht lange Zeit, den Frühgesunkenen zu beklagen, ein paar Jahre nur, und die Kugel trifft ihn tödlich im Duell. Keiner von allen erreicht das vierzigste Jahr, die wenigsten unter ihnen das dreißigste: so wird der rauschendste lyrische Frühling, den Europa jemals gekannt, über Nacht geknickt, zerschmettert und versprengt die heilige Schar der Jünglinge, die in allen Sprachen zugleich den Hymnus der Natur und der seligen Welt gesungen. Einsam wie Merlin im verzauberten Wald, unbewußt der Zeit, halb schon vergessen, halb schon Legende, sitzt Goethe, der weise und greise, in Weimar: nur von diesen uralten Lippen formt sich noch in seltener Stunde orphischer Gesang. Ahne und Erbe zugleich des neuen Geschlechts, das er staunend überlebt, wahrt er in eherner Urne das klingende Feuer. Einer nur, ein einziger von der heiligen Schar, der reinste von allen, weilt noch lange auf der entgötterten Erde, Hölderlin, doch an ihm hat das Schicksal am seltsamsten getan. Noch blüht ihm die Lippe, noch tastet sein alternder Leib sich über die deutsche Erde, noch gehen seine Blicke blau vom Fenster hinüber in die geliebte Landschaft des Neckars, noch darf er die Lider frommen Blicks zum »Vater Äther«, zum ewigen Himmel hin aufschlagen: doch sein Sinn ist nicht mehr wach, sondern verwölkt in einen unendlichen Traum. Wie Tiresias, den Seher, haben die eifersüchtigen Götter den, der sie belauschte, nicht getötet, sondern ihm nur den Geist geblendet. Ein Schleier ist um seine Worte und seine Seele gedunkelt: verworrenen Sinns lebt der »in himmlische Gefangenschaft Verkaufte« noch dumpfe Jahrzehnte dahin, der Welt wie sich selbst verloren, und nur der Rhythmus, die dumpfe klingende Welle stürzt in zerstäubten, zerquellenden Lauten von seinem zuckenden Mund. Um ihn blühen und welken seine geliebten Frühlinge, er zählt sie nicht mehr. Um ihn sinken und sterben die Menschen, er weiß es nicht mehr. Schiller und Goethe und Kant und Napoleon, die Götter seiner Jugend, sind ihm längst vorausgegangen, brausende Bahnen durchqueren sein erträumtes Germanien, Städte ballen, Länder heben sich auf – nichts von alldem erreicht sein versonnenes Herz. Allmählich beginnt das Haar ihm zu grauen, ein scheuer, gespenstiger Schatten einstiger Lieblichkeit, tappt er hin durch die Straßen Tübingens, verspottet von den Kindern, verhöhnt von den Studenten, die hinter der tragischen Larve den abgestorbenen Geist nicht ahnen, und längst denkt kein Lebender seiner mehr. Einmal, in der Mitte des neuen Jahrhunderts, hört die Bettina, daß er (einst von ihr wie ein Gott gegrüßt) sein 19
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Der Kampf mit dem Dämon Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Titel
Der Kampf mit dem Dämon
Untertitel
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
Autor
Stefan Zweig
Datum
1925
Sprache
deutsch
Lizenz
PD
Abmessungen
21.0 x 29.7 cm
Seiten
202
Schlagwörter
Literatur, Schriftsteller
Kategorien
Weiteres Belletristik

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 5
  2. Teil 1 - Hölderlin 15
    1. Die heilige Schar 17
    2. Kindheit 21
    3. Bildnis in Tübingen 26
    4. Mission des Dichters 29
    5. Der Mythus der Dichtung 34
    6. Phaeton oder die Begeisterung 40
    7. Ausfahrt in die Welt 46
    8. Gefährliche Begegnung 48
    9. Diotima 56
    10. Nachtigallengesang im Dunkeln 61
    11. Hyperion 63
    12. Der Tod des Empedokles 68
    13. Das Hölderlinsche Gedicht 74
    14. Sturz ins Unendliche 81
    15. Purpurne Finsternis 87
    16. Scardanelli 91
  3. Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
    1. Der Gejagte 97
    2. Bildnis des Bildnislosen 100
    3. Pathologie des Gefühls 103
    4. Lebensplan 111
    5. Ehrgeiz 115
    6. Der Zwang zum Drama 119
    7. Welt und Wesen 125
    8. Der Erzähler 129
    9. Die letzte Bindung 133
    10. Todesleidenschaft 136
    11. Musik des Untergangs 140
  4. Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
    1. Tragödie ohne Gestalten 145
    2. Doppelbildnis 149
    3. Apologie der Krankheit 153
    4. Der Don Juan der Erkenntnis 161
    5. Leidenschaft der Redlichkeit 166
    6. Wandlungen zu sich selbst 172
    7. Entdeckung des Südens 178
    8. Flucht zur Musik 185
    9. Die siebente Einsamkeit 189
    10. Der Tanz über dem Abgrund 193
    11. Der Erzieher zur Freiheit 199
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