Seite - 53 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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sein ganzes Denken ist seit Jahren ausschließlich nur von den Ideen Schillers,
von seinem Glauben an die Erhöhung der Menschheit genährt. Er ist
vollkommen von ihm dichterisch gezeugt und gestaltet, so sehr sein ideelles
Produkt wie die andern Schwärmerjünglinge, wie der Marquis Posa und Max
Piccolomini: so erkennt er in Hölderlin seine eigene Übersteigerung, sein
menschgewordenes Wort. Alles, was Schiller von dem Jüngling gefordert,
Begeisterung, Reinheit, Überschwang, das ist bei Hölderlin Leben geworden,
dieser junge Schwärmer lebt das Schillersche Postulat der idealischen
Forderung als Existenz. Hölderlin lebt den Idealismus, den Schiller nur noch
rhetorisch-dogmatisch fordert, er glaubt an die Götter und das Griechenland,
die für Schiller längst bloß großartige dekorative Allegorien wurden,
er erfüllt die Mission des Dichters, die jener nur schwärmend postuliert. In
Hölderlin werden seine eigenen Theorien, seine Ahnungen plötzlich leibhaft
sichtbar: darum dies geheime Erschrecken Schillers, als er den
Jüngling, seinen Dichterjüngling, zum erstenmal leibhaft sieht, sein
postuliertes Ideal als lebendigen Menschen. Er erkennt ihn sofort: »Ich fand
in diesen Gedichten viel von meiner eigenen Gestalt, und es ist nicht das erste
Mal, daß mich der Verfasser an mich mahnte«, schreibt er an Goethe, und mit
einer gewissen Rührung beugt er sich zu dem äußerlich so demütigen,
innerlich aber lodernden Menschen wie in den Rückschein eigenen
erloschenen Jugendfeuers. Aber gerade diese vulkanische Feurigkeit, dieser
Enthusiasmus (den er dichterisch unablässig propagiert) erscheint dem
gereiften Manne als gefährlich für den normalen Lebenszustand: Schiller
kann an Hölderlin menschlich nicht gutheißen, was er dichterisch gefordert,
den schäumenden Überschwang, das Auf-eine-Karte-Setzen der ganzen
Existenz, und so muß er – tragischer Zwiespalt – seine eigene Gestalt, den
idealischen Schwärmer, als lebensunfähig ablehnen. Sein profunder Blick
wird sofort gewahr, daß jener Idealismus, den er von den deutschen
Jünglingen gefordert, nur in einer idealischen Welt, im Drama, am Orte sei,
daß aber hier, in Weimar und Jena, diese poetische Unbedingtheit, diese
dämonische Nicht-Konzilianz des inneren Willens einen jungen Menschen
zerstören müsse. »Er hat eine heftige Subjektivität – sein Zustand ist
gefährlich, da solchen Naturen schwer beizukommen ist«: wie von einer
abstrusen Erscheinung spricht er von dem »Schwärmer« Hölderlin, fast genau
also wie Goethe vom »pathologischen« Kleist; beide erkennen sie bei beiden
sofort intuitiv den vorbrechenden Dämon, die explosive Gefahr der
überhitzten und gestauten Innerlichkeit. Während Schiller aber in der
Dichtung solche Heldenjünglinge lyrisch emportreibt und in ihr Übermaß
selig hineinstürzen läßt, hinab in den Abgrund ihres Gefühls, sucht im realen
Leben der gutmütige, freundliche Mann Hölderlin zu mäßigen. Er bemüht
sich für seine private, seine bürgerliche Existenz, verschafft ihm Stellung und
seinem Werke einen Verlag – mit innerster Herzensneigung fördert ihn
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199