Seite - 54 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Schiller in geradezu väterlicher Weise. Und, um die gefährliche Spannung des
Überschwangs in ihm zu lockern und zu lindern, um ihn »vernünftig zu
machen«, drückt er (bei aller Neigung) sanft und planmäßig auf sein
Emporstreben, ohne zu ahnen, wie schon leisester Druck diesen
Empfindsamen zerbrechen kann. So verwirrt sich allmählich die beiderseitige
Stellung: Schiller spürt über Hölderlins Haupt mit dem tiefen Blick des
Schicksalbildners das Beil der Selbstvernichtung drohen – Hölderlin fühlt
sich wieder von dem »einzigen Manne, an den er seine Freiheit verloren«,
von Schiller, »von dem er unabwendig dependiert«, wohl im äußeren Sinne
gefördert, doch im tiefsten Wesen nicht verstanden. Er hatte Aufschwung
erhofft, Bestärkung – »ein freundlich Wort aus eines tapferen Mannes Herzen
ist wie ein geistig Wasser, das aus der Tiefe der Berge quillt und die geheime
Kraft der Erde uns mitteilt in seinem kristallenen Tropfen«, sagt Hyperion –;
aber sie geben beide nur, Schiller und Goethe, tropfenweise und lau ihre
Zustimmung. Niemals teilen sie verschwenderisch Begeisterung aus und
entflammen ihm das Herz. So wird Schillers Nähe bei aller Beglückung
allmählich zur Qual für Hölderlin: »Ich war immer in Versuchung, Sie zu
sehen, und sah Sie immer nur, um zu fühlen, daß ich Ihnen nichts sein
konnte«, schreibt er ihm aus einem innern, schmerzvollen Abschied. Und
endlich spricht er die Dissonanz seines Gefühls offen aus: »deswegen darf ich
Ihnen wohl gestehen, daß ich zuweilen in geheimem Kampfe mit Ihrem
Genius bin, um meine Freiheit gegen ihn zu retten«. – Sein Tiefstes, so
erkennt er, darf er ihm nicht mehr anvertrauen, der seine Gedichte bekrittelt,
seine Überschwänge dämpft, der ihn klein, lau haben will, nicht
»subjektivistisch und überspannt«. Aus Stolz inmitten seiner Demut verbirgt
er vor Schiller seine wesenhafteren Gedichte, zeigt nur das Spielhafte, das
Epigrammatische seiner Produktion, denn ein Hölderlin kann sich nicht
wehren, nur beugen und verbergen, das ist seine ewige Haltung. Er bleibt vor
den Göttern seiner Jugend ewig auf den Knien: nie schwindet die Verehrung,
die Dankbarkeit für jenen, der die »Zauberwolke seiner Jugend« gewesen und
seiner Stimme den Gesang geliehen. Und Schiller beugt sich ab und zu mit
gefällig förderndem Wort, und Goethe geht freundlich-gleichgültig vorbei.
Aber sie lassen ihn liegen auf seinen Knien, bis ihm der Rücken bricht.
So wird die ersehnte Begegnung mit den Großen zu Verhängnis und
Gefahr, das freie Jahr in Weimar, von dem er Vollendung der Werke geträumt,
fast vergebens vertan. Die Philosophie – dieses »Hospital für verunglückte
Poeten« – hat ihn nicht gefördert, die Dichter ihn nicht erhoben: ein Torso ist
Hyperion geblieben, das Drama nicht geendet und trotz äußerster Sparsamkeit
seine Mittel erschöpft. Die erste Schlacht um sein Schicksal als dichterische
Existenz scheint verloren, denn Hölderlin muß wieder der Mutter zur Last
fallen und mit jedem Bissen Brot heimlichen Vorwurf mitwürgen. Aber in
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199