Seite - 75 - in Der Kampf mit dem Dämon - Hölderlin · Kleist · Nietzsche
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Schwebende, dies nur wie Traum Über-die-Welt-Hinfahren, dies selig
Gewichtlose und Erlöste in seiner eigenen Melodie. Goethe dichtet von der
Erde aus, Hölderlin über die Erde hinweg: Poesie ist ihm (wie Novalis, wie
Keats, wie all den Genien, den frühgestorbenen) Überwindung der
Schwerkraft, Zergehen des Ausdrucks in Klang, Heimkehr ins flutende
Element.
Die Erde aber, die schwere, harte, dies vierte Element des Alls, sie hat – ich
sagte es schon – nicht teil an dem beflügelten Gebilde des Hölderlinschen
Gedichtes: sie ist für ihn immer nur das Untere, das Gemeine, das
Feindselige, dem er sich entringt, die Schwerkraft, die ihn ewig an seine
Irdischkeit gemahnt. Aber auch die Erde enthält heilige Kunstkraft für den
Bildner, sie bringt Festigkeit, Umriß, Wärme und Wucht, göttlichen Überfluß
für den, der ihn zu nützen weiß. Baudelaire, der ganz aus der
Gegenständlichkeit irdischen Materials mit gleicher geistiger Leidenschaft
bildet, ist vielleicht da der vollkommene lyrische Gegenpol Hölderlins. Seine
Gedichte, die ganz aus Komprimierung geschaffen sind (indes jene aus
Auflösung), sind als Plastiken des Geistes ebenso standhaft vor dem
Unendlichen wie Hölderlins Musik, ihre Kristallhaftigkeit von Wucht nicht
minder rein als Hölderlins weiße Durchsichtigkeit und Schwebe – sie stehen
einander Stirn an Stirn gegenüber wie Erde und Himmel, Marmor und Wolke.
In beiden aber ist die Steigerung und Verwandlung des Lebens in Form, in
plastische oder musikalische, eine vollkommene: was zwischen ihnen in
unendlichen Varianten der Gebundenheit und Lösung flutet, ist herrlicher
Übergang. Sie aber sind die Grenzen, das Äußerste der Ballung, das Äußerste
der Auflösung. In Hölderlins Gedicht ist dies Zergangensein des Konkreten –
oder wie er schillerisch sagt: »die Verleugnung des Akzidentiellen« – so
vollkommen, das Gegenständliche so restlos vernichtet, daß die Titel oft
gänzlich leer und zufällig über den Versen haften; man lese einmal zur Probe
die drei Oden an den Rhein, an den Main und an den Neckar, um zu fühlen,
wie sehr die Entpersönlichung auch der Landschaft in ihm fortschreitet: der
Neckar rollt ins attische Meer seines Traums, und Griechentempel blinken an
den Ufern des Mains. Sein eigenes Leben löst sich auf zum Symbol, Susanne
Gontard entsinnlicht sich zu Diotimas ungewissem Bildnis, die deutsche
Heimat zu einem mystischen Germanien: keine Spur Irdischkeit, keine
Schlacke eigenen Schicksals bleibt zurück von dem lyrischen
Verbrennungsprozeß. Bei Hölderlin verwandelt sich nicht (wie bei Goethe)
Erlebnis ins Gedicht, sondern es entschwindet, es verdunstet im Gedicht, es
löst sich vollkommen, ja spurlos auf in Wolke und Melodie. Hölderlin
verwandelt nicht Leben zur Poesie, sondern er entflieht dem Leben ins
Gedicht, als in die höhere, die wahrere Wirklichkeit seiner Existenz.
Dieser Mangel an Erdkraft, an sinnlicher Bestimmtheit, an plastischen
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Der Kampf mit dem Dämon
Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Titel
- Der Kampf mit dem Dämon
- Untertitel
- Hölderlin · Kleist · Nietzsche
- Autor
- Stefan Zweig
- Datum
- 1925
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 202
- Schlagwörter
- Literatur, Schriftsteller
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 5
- Teil 1 - Hölderlin 15
- Die heilige Schar 17
- Kindheit 21
- Bildnis in Tübingen 26
- Mission des Dichters 29
- Der Mythus der Dichtung 34
- Phaeton oder die Begeisterung 40
- Ausfahrt in die Welt 46
- Gefährliche Begegnung 48
- Diotima 56
- Nachtigallengesang im Dunkeln 61
- Hyperion 63
- Der Tod des Empedokles 68
- Das Hölderlinsche Gedicht 74
- Sturz ins Unendliche 81
- Purpurne Finsternis 87
- Scardanelli 91
- Teil 2 - Heinrich von Kleist 95
- Teil 3 - Friedrich Nietzsche 143
- Tragödie ohne Gestalten 145
- Doppelbildnis 149
- Apologie der Krankheit 153
- Der Don Juan der Erkenntnis 161
- Leidenschaft der Redlichkeit 166
- Wandlungen zu sich selbst 172
- Entdeckung des Südens 178
- Flucht zur Musik 185
- Die siebente Einsamkeit 189
- Der Tanz über dem Abgrund 193
- Der Erzieher zur Freiheit 199