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Revolte und Reife 010
hundert eine neue HochblĂĽte erlebte. Nachdem die Glasmalerei bislang vor allem mit
Kirchenfenstern in Zusammenhang gebracht worden war, war es nun modern geworden,
auch Privathäuser mit bemalten Fenstern auszustatten. Vornehme Zinshäuser erhielten
beispielsweise bemalte Stiegenhausfenster, und auch in Privatwohnungen war es ĂĽblich
geworden, Wintergärten oder Alkoven mit schmuckvollen Fenstern aufzuwerten. Insbe-
sondere Jugendstilmotive eigneten sich hervorragend fĂĽr diese Art der Malerei, und um
die Jahrhundertwende erlebte dieser Kunstzweig deshalb einen noch wenige Jahre zu-
vor unvorstellbaren Höhepunkt. Auftragsarbeiten in Kirchen, Adels- und Privathäusern
Wiens und in der gesamten Monarchie brachten der Werkstätte bald einen internatio-
nalen Ruf und somit Aufträge in ganz Europa ein, sodass die »Glasmalerei Geyling« ne-
ben der »Tiroler Glasmalerei«, die im Jahr 1860 gegründet worden war, als wichtigste
Glasmalereiwerkstätte der Monarchie galt. Diese Tradition konnte auch bis heute unge-
brochen – wenngleich in weitaus bescheidenerem Geschäftsumfang – fortgesetzt wer-
den. Im Jahr 1997 wurde die Firma zwar vom Zisterzienserstift Schlierbach, Oberöster-
reich, ĂĽbernommen, ihren Firmensitz hat sie jedoch weiterhin in Wien.
Rolfs Vater Rudolf Geyling (  1839–1904  ), der an der Akademie der bildenden Küns-
te in Wien studiert hatte, war zunächst ausschließlich als Historienmaler sowie als Por-
trätist tätig. Sein größter Erfolg war die Auszeichnung des Gemäldes »Siegfrieds Heim-
kehr« mit dem vatikanischen St.-Georgs-Orden, wodurch ihm gemeinsam mit seiner
Ehegattin eine zweijährige Studienreise in Italien ermöglicht worden war. Eine Berufung
an den englischen Hof, wo er gemeinsam mit dem Maler Heinrich von Angeli ( 
1840–
1925  ) zwei Porträts von Königin Viktoria anfertigte, zeigt seine Anerkennung über die
Grenzen der Monarchie hinaus, und auch heute noch kursieren einige seiner Werke auf
den diversen Kunstmärkten.
Wie viele seiner Kollegen zahlte Rudolf Geyling einen Teil seiner Honorare in einen
Pensionsfonds fĂĽr akademische Maler ein. Um 1880 setzte sich der Kassier des Pensi-
onsfonds jedoch mit dem gesamten Geld nach Amerika ab, und Rudolf lief in Gefahr, in
monetäre Schwierigkeiten zu geraten. Um die finanziellen Unwägbarkeiten, die ein Be-
ruf als freier Künstler mit sich brachte, auf ein Minimum zu beschränken, übernahm Ru-
dolf Geyling daher im Jahr 1881 die kĂĽnstlerische Leitung der von seinem Onkel Carl ge-
gründeten Glasmalwerkstätte und kam zusätzlich einer Berufung als Professor an die
Akademie der bildenden Künste nach. Stets betrachtete er seine Tätigkeit in der Glas-
malwerkstätte und in der Akademie jedoch als »Brotberuf«, denn seine Leidenschaft galt
weiterhin der Malerei. Umso erstaunlicher ist der Erfolg, mit dem Rudolf Geyling die Fir-
ma »Carl Geyling’s Erben« in den 20 Jahren seiner Tätigkeit führte. Unzählige Glasarbei-
ten für Kirchen, öffentliche Bauten und Privathäuser in ganz Europa entstanden, und al-
lein im Jahr 1884 soll die Werkstätte rund 200 Kirchenfenster und über 1.  200 Fenster
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273