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Revolte und Reife 012
dern auch um einen Nachfolger und Mitarbeiter für die Glasmalwerkstätte »Geyling’s Er-
ben« zu gewinnen. Tatsächlich schlug Remigius eine entsprechende künstlerische Lauf-
bahn ein. Er studierte 1898–1900 an der Wiener Kunstgewerbeschule, 1902–1904 an der
Münchner Akademie und entwickelte sich in weiterer Folge zu einem äußerst vielseiti-
gen Künstler. 1911–1914 und 1922–1925 arbeitete er als Ausstattungsdirektor am Wiener
Burgtheater, für welches er bei mehr als 300 Produktionen die Kostüme und Bühnenbil-
der entwarf, so z. B. für »Cäsar und Cleopatra« von George Bernard Shaw im Jahr 1912.
Im Zuge dieser Tätigkeit entwickelte Remigius auch die Technik der Bühnenprojektion1,
die erstmals 1925 in »Peer Gynt« am Burgtheater eingesetzt wurde. Später hat Remigius
auch Kostüme für Filmausstattungen entworfen, wie beispielsweise 1924 für »Die Skla-
venkönigin« unter der Regie von Michael Kertécz. Gleichzeitig arbeitete Remigius auch
in der Glasmalwerkstätte des Vaters mit und entwarf unter anderem das Glasmosaik-Al-
tarbild für die Otto-Wagner-Kirche am Steinhof, nachdem der von Wagner favorisierte
Entwurf Kolo Mosers von den kirchlichen Stellen abgelehnt worden war. Remigius war
zudem als Grafiker Mitglied der »Wiener Werkstätte« sowie Gründungsmitglied des »Ös-
terreichischen Werkbundes« und wurde schließlich 1926–1946 als Professor an die Wie-
ner Kunstgewerbeschule berufen.
Im Rahmen seiner Tätigkeit für die »Wiener Werkstätte« entwarf Remigius vor allem
Bucheinbände und -illustrationen sowie Postkarten, die damals von den Künstlern zu
bestimmten Themen hergestellt wurden und sich großer Beliebtheit erfreuten. Etliche
Bücher, wie z. B. ein kleines Büchlein, das im Jahr 1909 von der Stadt Wien als Ballspen-
de verteilt wurde, oder das illustrierte Märchen »Der Schneider im Himmel« der Gebrü-
der Grimm (
1921 ) sowie auch Postkarten, die Remigius anlässlich des Huldigungsfest-
zuges zum 60-jährigen Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josefs im Jahr 1908 gestaltete,
sind heute noch in Wiener Antiquariaten bzw. bei Kunstauktionen erhältlich. (
Farbabb. 2
)
Allein dieses Umfeld und die Vielfalt der künstlerischen Tätigkeiten seines älteren Bru-
ders Remigius müssen von Anfang an Inspirationsquellen auch für den jüngeren Rolf ge-
wesen sein. Die »Wiener Werkstätte« war im Jahr 1903 nach dem Vorbild der englischen
»Arts and Crafts«-Bewegung gegründet worden und versammelte die wichtigsten An-
tipoden einer industriell gefertigten Massenproduktion von Gebrauchsgütern, welche
zunehmend in alle Lebensbereiche der Menschen Eingang fanden und die individuel-
le handwerkliche Fertigung verdrängten. Gründer der »Wiener Werkstätte« waren Jo-
1 Es handelte sich dabei um eine »Rundhorizont-Projektion«: Farbig bemalte Diapositive wurden
von zwei lichtstarken Apparaten mit spezieller Weitwinkeloptik auf einen Rundhorizont proji-
ziert. Diese Projektionen ermöglichten, dass bis zu 36 Szenenhintergründe rasch aufeinander-
folgen konnten.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273