Seite - 14 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Bild der Seite - 14 -
Text der Seite - 14 -
Revolte und Reife 014
wendig detailreich gestaltete Ausstattung mitten im Krieg und am Rande eines seiner
grausamsten Schlachtfelder entstehen konnten. Trotz der bemerkenswerten Ästhetik
blieb die Kirche jedoch ein architektonischer Einzelfall im reichen Schaffen von Remi-
gius Geyling.
Margarete ( 1882–1949 ) bzw. Greta, wie sie in der Familie stets genannt wurde, die
um zwei Jahre ältere Schwester Rolfs, hat im Unterschied zu den künstlerischen Ambi-
tionen der Brüder den Lehrberuf ergriffen und war zunächst in der Mädchenerziehung
tätig. Aufgrund ihres Engagements wurde sie später Berufsschulinspektorin, und ihre
Arbeit wurde schließlich mit der Verleihung des Titels »Hofrat« gewürdigt. Nachdem sie
von ihren Eltern gezwungen worden war, eine nicht standesgemäße Verlobung zu lö-
sen, blieb sie ihr ganzes Leben unverheiratet. Wohl gerade deshalb wurde sie zu einer
der wichtigsten Bezugspersonen einerseits für die alternde, zunehmend pflegebedürf-
tige Mutter und andererseits für Rolf und dessen spätere Frau Hermine, für die Greta
so etwas wie ein fixer Bezugspunkt zur Heimat werden sollte, und oft war sie gerade in
praktischen Dingen eine enorme Hilfe und zuverlässige Verbündete.
Im Jahr 1890 bezog Rudolf Geyling im Dachgeschoß des soeben fertiggestellten Miet-
hauses in der Amerlingstraße 7 im 6. Wiener Gemeindebezirk ein Atelier. Von hier hatte er
es nicht weit in die Windmühlgasse 22, um seinem Gelderwerb nachzugehen. Dort be-
fand sich nämlich ein kleines Schlösschen, das von Carl Geyling seinerzeit als Firmensitz für
seine Glasmalwerkstätte erworben worden war. Das Schlösschen befand sich im 18. Jahr-
hundert im Besitz der ersten Hofdame Maria Theresias, und die Kaiserin soll hier öfters
Station gemacht haben, wenn sie zur Jagd nach Schönbrunn unterwegs war bzw. wenn
sie zur Beichte und Kommunion die nahe gelegene Mariahilferkirche besuchen wollte.
Rolfs Eltern gehörten zur großbürgerlichen Gesellschaft Wiens, und zahlreiche noch
erhaltene Visitenkarten verweisen auf den gesellschaftlichen Kontakt mit Malern und Li-
teraten, wie z. B. Hans Makart und Wilhelm Busch, mit Klerikern, Offizieren und hohen
Beamten. Rolf wuchs also in einer kultivierten und angesehenen Familie auf, entwickelte
sich jedoch, wie die Familienchronik zu berichten weiß, als jüngstes der vier Geschwister
zu einem »schwierigen Kind«, das seinen Eltern viel Kopfzerbrechen bereitete. Von klein
auf war Rolf wild und ungezügelt mit einem Hang zur Undiszipliniertheit und einer da-
raus resultierenden Freude an Bubenstreichen – was sich auch auf den Schulerfolg aus-
wirkte. Insbesondere während der Ferienmonate war Rolf kaum zu bändigen. Die Familie
verbrachte die Sommermonate immer in Spitz an der Donau, in der wild-romantischen
Wachau, und während der Vater die Familienidylle mit Zeichnungen, Skizzen und Ölbil-
dern der Familie, der kleinen Stadt sowie der reizvollen Landschaft bereicherte, übte Rolf
seine oft gewagten Streiche aus: Er unternahm halsbrecherische Klettertouren – z. B. in
den Kirchturm – oder betätigte sich seinerseits als Maler, indem er eine Nische im Quar-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273