Seite - 26 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Revolte und Reife 026
nen regelrechten Skandal rief das »Michaelerhaus« von Adolf Loos, Wien 1, Michaeler-
platz 3 ( 1909–1911 ) hervor, da die markante Schlichtheit der Fassade durch seine Lage
direkt gegenüber der Hofburg als Affront empfunden wurde, auch wenn Loos der Ge-
schäftszone im Erdgeschoß durch die Verwendung von Marmor ein äußerst vornehmes
Erscheinungsbild verliehen hatte. Zeitgleich zu diesem Bau – nämlich von 1909 bis 1913 –
entstand das ehemalige Kriegsministerium in Wien 1, Stubenring 1, das von Ludwig Bau-
mann entworfen worden war und mit seiner reichen, neobarocken Formensprache beim
konservativ orientierten Thronfolger Franz Ferdinand auf besondere Zustimmung stieß,
während Plecniks Kirche von Franz Ferdinand mit einem Pferdestall verglichen worden
war. Das Einfließen von Elementen des Heimatstils zeigt wiederum das 1912 von den Ge-
brüdern Drexler errichtete Miethaus in der Krottenbachstraße 1, Wien 19 mit seinen mar-
kanten Giebeln und grünen Fensterläden.
Parallel zu allen Erneuerungsversuchen fand die historistische Gestaltungsweise, d. h.
die Verwertung und Modifizierung von Motiven, die die Stile der Vergangenheit prägten,
ungebrochen ihre Zustimmung. Charakteristisch für diese Spätphase des Historismus
war es allerdings, in zunehmend eklektischer Weise auch Stilmischungen zu formulie-
ren. Gleichfalls auf pittoreske Wirkungen zielend, zeichnete sich ab der Jahrhundertwen-
de ein weiterer Trend ab: Im Villenbau war eine überaus malerische Gestaltungsweise
mit Türmchen, Giebeln, Vor- und Rücksprüngen, Balkonen, Erkern sowie die Verwen-
dung von verschiedenen Materialen, wie Holz und Ziegel, obligat geworden. Diese ma-
lerische Ausdrucksform hat sich schließlich häufig auch im städtischen, mehrstöckigen
Miethausbau und insbesondere im Kirchenbau Geltung verschafft – wo eine reiche Sil-
houettierung des Gebäudes zum beinahe wichtigsten Kriterium wurde. Als Beispiel wäre
die 1902 entworfene Kaiser-Franz-Josef-Jubiläumskirche in Wien 2, Mexikoplatz von Vik-
tor Luntz zu nennen, die mit ihrem neoromanischen Formenvokabular noch ganz der
historistischen Gestaltungsweise verpflichtet blieb, allerdings mit Türmen und Türmchen
und einem vielfach gegliederten Chor ein äußerst malerisches Erscheinungsbild erhielt.
Die Vorliebe für eine malerische Ausprägung zeigt etwa auch das 1906 erbaute Miet-
haus in der Währinger Straße 166 in Wien 18 von Theodor Bauer. Asymmetrie, Vor- und
Rücksprünge, unterschiedliche Putzfelder und verschiedenartige Fensterbögen und Bal-
kone kennzeichnen die Fassade.
Insbesondere im Miethausbau dominierte allerdings mehr und mehr eine »Gemäßig-
te Moderne«, bei der sich vorwiegend aus Stilmerkmalen des Jugendstils eine schlich-
tere Sprache entwickelt hatte und die auch Rolf bei seinen ersten selbstständigen Auf-
trägen wählte.
Wenige Monate nach seiner Tätigkeit bei Otto Wagner – Rolf war vor allem an dem
großen Stadtbahnprojekt für Wien beteiligt gewesen – fand er eine Anstellung als Archi-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273