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Zwischen Abenteuer und Architektur 027
tekt bei der Baufirma Janesch & Schnell. Schon nach kurzer
Zeit folgte er allerdings seinem Drang nach Unabhängig-
keit, und immer bereit, Risiken auf sich zu nehmen, verließ
er den sicheren Rückhalt der Baufirma und machte sich als
Einzelunternehmer selbstständig. Er eröffnete sein Büro
im ehemaligen Atelier seines Vaters im Dachgeschoß des
Miethauses in der Amerlingstraße 7, wo im Jahr 1909 seine
Mutter gemeinsam mit ihm und seinem Bruder Remigius
im 1. Stock auch eine Wohnung bezogen hatte. Rolf strahl-
te in dieser Zeit jugendliche Selbstsicherheit aus und be-
saß eine bemerkenswerte Überzeugungskraft, sodass sich
der unbekannte Architekt schnell einen guten Ruf erwarb
und etliche Projekte realisieren konnte. (Abb. 11)
Den bedeutendsten und prestigeträchtigsten Auftrag
erhielt Rolf in den Jahren 1911 /12 von den Wiener Ver-
kehrsbetrieben für die Errichtung der BetrieBsBahnhöfe
und Beamtenwohnhäuser im 12. Bezirk, Koppreitergas-
se 5 und »Hernals«, Wattgasse 138–138a im 17. Bezirk.
Das Wiener Straßenbahnnetz war um 1900 im Zuge der Elektrifizierung beträchtlich
ausgebaut worden, was die Errichtung von zahlreichen Betriebsbahnhöfen nach sich zog.
Bei einigen von ihnen wurden auch Wohnhäuser für die Angestellten der Wiener Ver-
kehrsbetriebe erbaut. Die meisten der Bahnhöfe wurden zunächst nach einem einheitli-
chen Schema in Ziegelbauweise errichtet. Rolf, der schon früh großes Interesse für neue
Materialen entwickelte, wählte für die von ihm erbauten Hallen hingegen den Stahlbe-
ton, was den Vorteil bot, dass weite Spannweiten ohne hinderliche Stützen überwun-
den werden konnten. (Abb. 12 und 13)
Bei der Anlage der Beamtenwohnungen nahm Rolf indessen bereits Errungenschaf-
ten des Wiener Gemeindebaus der Zwischenkriegszeit vorweg. Die Wohnungen be-
standen zwar zumeist nur aus einem Zimmer und Küche, sie erhielten jedoch einen
Wasseranschluss sowie ein eigenes WC, und darüber hinaus hatte jede Küche eine di-
rekte Belichtung. Die Modernität und Fortschrittlichkeit dieser Wohnhäuser wird deut-
lich, wenn man sich vor Augen hält, dass die sogenannten »Zinskasernen«, die Miet-
häuser für Arbeiter, aber auch kleine Angestellte und Beamte jahrzehntelang nur über
einen einzigen Wasserhahn pro Stockwerk, die »Bassena«, sowie einige wenige Gemein-
schafts-WCs am Gang verfügten. Dazu kam, dass es üblicherweise nur »Gangküchen«
gab, das heißt, die Küchenfenster öffneten sich zum Stiegenhaus und Gang, in dem auch
die Bassena installiert war. 11 Rolf als junger Architekt
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273