Seite - 37 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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zu absolvieren, die sich mit architektonischen Fragestellungen auseinandersetzte, und
es galt, einen entsprechenden Praktikumsplatz für sie zu finden. Prutscher kontaktierte
Rolf Geyling, der aus Zeitmangel, aber auch weil er, wie Hermine berichtete, von weib-
lichen Studierenden nicht viel hielt, zunächst nicht zusagen wollte. Allerdings gelang es
Prof. Prutscher schließlich, Rolf doch zu überreden, und bald nachdem Hermine in sei-
nem Atelier zu arbeiten begonnen hatte, konnte sie ihn von ihren fachlichen Qualitäten
überzeugen. Weitaus schwieriger entwickelte sich hingegen die persönliche Beziehung
zwischen den beiden, wie Hermine noch Jahrzehnte später voller Emotionen berichtete.6
Rolf war mit seiner sportlichen Figur und seinem warmen Lächeln ein attraktiver
Mann, und Hermine verliebte sich offenbar sehr rasch in ihn. Rolf dürfte durchaus ähnli-
che Gefühle gehegt haben, aber von Natur aus eher reserviert, ließ er sich entsprechen-
de Empfindungen kaum anmerken und machte Hermine nur andeutungsweise Avancen.
Die unklare Situation spitzte sich zu, als Hermine nach längerer Zeit wieder einmal
nach Bukarest fuhr, um ihre Familie zu besuchen. So sehr sie ihre Familie liebte und sich
auf ein Wiedersehen freute, so ungern verließ sie ihre Arbeit und so ungern trennte sie
sich von Rolf, von dem sie endlich eine Klarstellung seiner Gefühle erhoffte. Voller Ge-
fühlszweifel und unglücklich stieg sie in den Zug, als nach kurzer Fahrzeit plötzlich Rolf
auftauchte: Der Gedanke, dass sie in Bukarest jede Menge Verehrer – und damit poten-
zielle Ehemänner – treffen werde, hatte ihm schließlich doch keine Ruhe gelassen. Die
Aussicht, unangemeldet mit Hermine bei ihrer Familie zu erscheinen, erschreckte ihn al-
lerdings dann doch zu sehr, da dies – so viel war beiden klar – einem formellen Heirats-
antrag gleichgekommen wäre. Die Menge seiner Projekte in Wien vorschiebend, verließ
Rolf deshalb bereits in Budapest den Zug und trat die Rückreise an. Hermine fühlte sich
dennoch als Verlobte, und der warme Empfang nach ihrer Rückkehr nach Wien ließ auch
keinen Zweifel an Rolfs wahren Gefühlen aufkommen. Auf einen Heiratsantrag wartete
sie vorerst aber dennoch vergebens.
Erst ein Brief des Vaters sollte das Leben von Rolf und Hermine diesbezüglich gra-
vierend verändern. Franz Schmidts bat seine Tochter nämlich, Rolf zu fragen, ob er je-
manden wüsste, der bereit wäre, in Bukarest in seiner Firma mitzuarbeiten. Zu diesem
Zeitpunkt arbeitete Schmidts bereits mit seinen Söhnen Louis und Ernst in seinem gut
gehenden Architekturbüro zusammen und beschäftige zusätzlich je einen Architekten
aus Berlin, Frankreich und Rumänien. Nun wünschte er auch noch einen Architekten aus
Wien anzustellen, um das künstlerische Spektrum seiner Projekte zu erweitern.
6 Unveröffentlichte Transkription einer Tonbandaufzeichnung mit Erinnerungen von Hermine
Geyling im Nachlass Rolf Geylings.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273