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Mobilisierung und Krieg 044
sequent seine »Frau« – was für Rolf die teilnehmenden, die eigenen Gefühlsregungen
aber niemals preisgebenden Beschreibungen offenkundig leichter macht. Allerdings er-
weckt er auf diese Weise den Eindruck einer gewissen Distanziertheit gerade gegenĂĽber
jener Person, die ihm am nächsten stand – einer Distanziertheit, die er auf gewisse Wei-
se während seines ganzen Lebens beibehielt und die seiner Frau, die dies als unüber-
windbare »Verschlossenheit« deutete, auch viele Jahre später noch zu schaffen machte.
Die Eintragungen in Rolfs Tagebuch werden im Folgenden teilweise in vollem Um-
fang wiedergegeben, teilweise kursorisch zusammengefasst und durch Erläuterungen,
die dem besseren Verständnis dienen, ergänzt. Einen Teil seiner Aufzeichnungen illust-
riert Rolf selbst als Fotograf. Persönlich dokumentiert sind vor allem Szenen aus den je-
weiligen Stellungen, die von seiner Truppe im Zuge des Kriegsverlaufes eingenommen
wurden, sodass die Route der Truppenbewegungen parallel zu den im Feldtagebuch
vorgenommenen Eintragungen auch bildlich nachvollziehbar wird. Erstaunlich ist, dass
Rolf sogar Zeit fand, ein Fotoalbum mit detaillierten Beschriftungen anzulegen. Den Text
seines Tagebuches lässt er mit dem vorläufigen Abschluss seiner Tätigkeit als Architekt
und dem Abschied von seiner Frau beginnen:
Vortage der Mobilisierung  !
Letzte Juliwoche 1914. – Ich arbeite in Bukarest an den Ausführungsplänen für das Tu-
berkulosespital »Colentina« der Eforie Bucuresti. – Durch den Sarajevoer-Kronprinzen-
mord ist die politische Stimmung sehr gespannt, durch die Forderungen Ă–sterreichs an
Serbien, in Form eines Ultimatums verschärft sich die Lage bis zum Äußersten. Die For-
derungen werden von Seiten Serbiens nicht erfüllt; nun ist eine militärische Aktion fast
unvermeidlich.
Ich laufe täglich zum Konsulat und arbeite fieberhaft, um meine Pläne so weit zu be-
kommen, dass sie in meiner Abwesenheit ungeschadet ausgeführt werden können. Am
29. Juli 1914 sagt man mir am österreichischen Konsulat das 14. Korps, dem ich ange-
höre, sei mobilisiert; somit muss ich binnen 24 Stunden abreisen. In den Nachmittags-
stunden und in der Nacht arbeite ich mit einem zurückbleibenden Herrn in größter Hast
alle nötigen Details so gut es in der kurzen Zeit möglich ist, durch. Gegen 2 Uhr nachts
komme ich in meine Wohnung; meine Frau mit der Kleinen ist auf dem Lande (  Busteni,
Strada Industrie 3 
). In zwei Stunden habe ich auch in der Wohnung meine letzten An-
ordnungen getroffen, das wenige, Nötige gepackt, und nach einer Stunde Rast fahre ich
auf den Bahnhof. Mein Schwiegervater, Ernst, Louis und Rudi geben mir den Abschied
und auch den Trost, dass sie in meiner Abwesenheit statt meiner Sorge tragen werden.
11 Uhr vormittags komme ich in Busteni an, eine ganz sonderliche Stimmung hier wo ich
sonst nur an belebten Sonntagen war, jetzt in einsamer Stille, wie schön wäre es erst nur
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273