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Mobilisierung und Krieg 046
Am 4. August, dem 1. Mobilisierungstag beginnt die Arbeit. Ich, normal dem Munitions-
Park Kommando zugeteilt, ĂĽbernehme die Aufstellung der Kolonnen 1 und 2 bis Lt. Ra-
dinger eintrifft. Der ganze Munitionspark bestand zur Zeit aus dem Oberstleutnant Ba-
nach (  !  ) und einem Rechnungsunteroffizier, alle anderen Offiziere und Mannschaft sind
aus der Reserve, trotzdem geht die Arbeit munter fort. Tag fĂĽr Tag werden neue Teile
gefasst ausgerĂĽstet und aufgestellt. Erst alle Monturen, Beschirrungen und Waffen ge-
fasst und angepasst. Ersatz Mannschaft und Pferde treffen erst sehr spät ein, was die
Arbeit erschwert.
Nach wenigen Tagen mache ich schon mit meinen Pferden FahrĂĽbungen; die meis-
ten Pferde sind nicht gewohnt mit Sattel und 4 oder 6spännig zu gehen, trotzdem sind
die meisten Pferde bald eingefahren, nur einige Pferde setzen sich beim Fahren nieder
und werden geschleift. Beim Versuch ein solches Pferd hochzubringen komme ich unter
dasselbe, mein rechter FuĂź ist unter dem Leib des Pferdes, zum GlĂĽck aber durch mei-
nen Säbel, der ganz abgebogen wird geschützt, ich verspüre zwar eine Veränderung im
FuĂźgelenk kann aber wieder aufsitzen und die FahrĂĽbung zu Ende machen. Erst mittags
beim Absitzen heftige Schmerzen, gehen fast unmöglich; nachmittags und nachts un-
ausgesetzte Umschläge bringen es so weit, dass ich nächsten Morgen fest bandagiert
wieder zu Pferd sitzen kann. Der FuĂź bleibt noch lange steif und geschwollen, erst nach
drei Wochen verlieren sich die letzten Merkmale. Die Munition wird an vorgeschriebenen
Tag gefasst und nun folgen täglich Fahrübungen mit den beladenen Kolonnen, manche
in sehr schwierigen Gelände; erstaunlich rasch gewöhnt sich Alles und funktioniert dieser
ganz neu aufgestellte Körper. Die Arbeit verläuft gut nur das Färben der Schimmel unter-
bleibt teilweise, da nicht genĂĽgend ĂĽbermangansaures Kali8 aufzutreiben ist. Ich erhielt
zwei Telefonpatrouillen zur Ausbildung und legte die Leitungen von Vill – Auer – Mon-
tan. Später [  als  ] Verladeoffizier für den Divisionsstab und den ganzen Munitions-Park
verbringe ich 2 Tage und 1 Nacht unausgesetzt auf der Verladerampe Pranzoll [  = Bran-
zoll 
]; durch die Sonnenglut und Anstrengung packt mich am 2. Tag eine Kolik, die aber
mit der Abreise ihr Ende hat.
Ich fahre mit dem letzten Zug am 19. August 9 Uhr Vormittag ab. 21. August 6 Uhr
abends in Wien – Hütteldorf-Hacking. Der Zug läuft über 2 Wiener Bahnhöfe zum Ost-
bahnhof; ich benütze diese Zeit für mich: Mutter und Greta sowie Herr Todt [  ein befreun-
deter Priester 
] erwarten mich in HĂĽtteldorf, wir fahren in die Stadt, besorge Einiges, dann
Nachtmahlen wir zusammen in meiner alt gewohnten Wohnung VI. Amerlingstr. 7. Um
9 Uhr muss ich Abschied von meiner Mutter nehmen, Greta begleitet mich noch auf die
8 Mit Ăśbermangansaurem Kali oder Kaliumpermanganat wurden Schimmel zur Tarnung braun
gefärbt.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273