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Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 069
merkt: Am 3. September schreibt er etwa, dass er nach einem neunstündigen (  !  ) Marsch
erfahren habe, dass der Zweck dieses Marsches, nämlich das jenseitige Bugufer zu be-
setzen, bereits von der Infanterie vorweggenommen worden war.
Auch im Zuge der Sanoffensive scheiterte ein effizientes Eingreifen von Rolfs Ein-
heit in die Kampfhandlungen an der »Angriffshast« der Infanterie. Rolfs Division hatte
den Befehl erhalten, die Ăśberschiffung des San vorzubereiten. Am 14. Oktober berich-
tete er, dass die Infanterie jedoch »schon in der Nacht, vorzeitig, die Überschiffung for-
zieren« wollte. Daher wurde Befehl gegeben, das Feuer, das eigentlich der Vorbereitung
des Infanterieangriffs hätte dienen sollen, nicht zu eröffnen. Erst als traurige Gewissheit
herrschte, dass die Aktion der Infanterie misslungen war, wurde dieser Befehl wieder zu-
rückgenommen und die Artillerie plangemäß eingesetzt – nun allerdings vor dem Hin-
tergrund, dass die Infanterie bereits empfindlich geschwächt worden war.
Ein weiteres Beispiel des unkoordinierten Vorgehens lieferte die Infanterie auch am
3. November, wobei in Rolfs Tagebucheintragung dieses Tages besonders deutlich zum
Ausdruck kommt, mit welchen Mühen die Vorbereitung gefechtsmäßiger Stellungen ver-
bunden war. Einmal mehr zeigt sich dabei Rolfs Hang zur sachlichen Berichterstattung,
denn wie ärgerlich es für Mannschaft und Offiziere gewesen sein muss, wenn sich her-
ausstellte, dass die mĂĽhsame Errichtung von Artilleriestellungen durch die eigene Infan-
terie zwecklos gemacht wurde, lässt sich nur zwischen den Zeilen lesen: In Machow, in
der Nähe von Tarnobrzeg, wurde eine gefechtsmäßige Stellung eingerichtet. »Um 11 Uhr
vormittags fährt die Division in die Stellung ein; Bedienung baut vorzügliche Deckungen
und Unterstände mit Benützung der gefällten Baumstämme im umliegenden Wald. Mit
Hilfe einer Infanterieabteilung wird der Abfahrtsweg gut hergerichtet. Alle Pferde ein-
quartiert.« Mittags langt eine Infanterieabteilung ein, die sich – offensichtlich ohne Ab-
sprache – am Waldrand eingräbt. »Dadurch kommt die Infanterie nur etwa 300x [  Schrit-
te  ?  ] vor der Batterie zu liegen und erscheint daher die Stellung der Division unhaltbar.«
Am nächsten Tag erfolgte demzufolge der Stellungswechsel nach Süden. »Die neue Stel-
lung [  … 
] wird wieder ausgebaut und der Weg hergerichtet.« Umso frustrierender muss
es gewesen sein, als bereits am Abend erneut Befehl zum sofortigen Abmarsch in sĂĽd-
westliche Richtung einlangt. »Batterien werden aus den Stellungen gezogen [  …  ] Nacht-
marsch bei kaltem Wetter.«
Auch am 16. November berichtet Rolf von einer ähnlichen Situation: »Befehl [ 
…  ] Stel-
lung beziehen Front gegen Czulice [  …  ] Eigene Infanterie sieht man jedoch gegen Czu-
lice, wohin hätte gewirkt werden sollen, vorgehen.« Daraufhin wurde der Weitermarsch
befohlen.
Auch ĂĽber die paradoxe Situation, dass die Infanterie aus mangelnder Absprache
nicht von der Artillerie unterstützt, sondern vielmehr gefährdet wurde, berichtet Rolf. So
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273