Seite - 117 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Bild der Seite - 117 -
Text der Seite - 117 -
Die Jahre in Sibirien 117
21. Nov. Nachmittags Offizierskor und Gesangs, Violin- und Lautenvorträge zu Gunsten
des Spitales hier, dem es an Alles, selbst den einfachsten Mitteln fehlt. Ganz ausgezeich-
nete Leistungen, geleitet von Oblt. Grießmann. Es ergreift mich tief diese Musik wieder
einmal zu hören nach diesen langen rohen und öden Monaten. Zirka 32 Rubel sollen
eingekommen sein.
Auch in Dauria befassten sich die meisten Offiziere mit dem Erwerb bzw. der Vertiefung
von Fremdsprachen. Rolf studierte neben Russisch, Französisch und Englisch auch Ru-
mänisch, nicht ahnend, dass Rumänien in den Krieg eintreten und eine Rückkehr in sei-
ne Wahlheimat deshalb nicht mehr wahrscheinlich sein würde.
Einen wesentlichen Fixpunkt im Lagerleben bildeten zudem die Fachkurse, die von Offi-
zieren angeboten wurden, um die Zeit bis zur Rückkehr ins Zivilleben unter den Mitgefan-
genen bestmöglich zu nutzen. Für viele, vor allem jüngere Gefangene, die vom Krieg mit-
ten aus ihrer Ausbildung herausgerissen worden waren, bedeuteten diese Fachkurse eine
wertvolle Gelegenheit, Abschlussarbeiten zu verfassen. Es entstanden, um nur einige Bei-
spiele zu nennen, juristische, technische und kaufmännische »Vereine«, in deren Rahmen
Vorlesungen abgehalten und fachspezifische Diskussionen veranstaltet wurden. Von Rolf
wissen wir, dass er »Architekturkurse« abhielt, auch wenn er diese Tätigkeit nur ein einziges
Mal, und zwar in einer Tagebucheintragung vom September 1917, erwähnt. Dort heißt es
lapidar: »Die Vorlesungen beginnen wieder, für den Winter ist Beschäftigung geschaffen.«
Wie umfangreich seine Tätigkeit als Lehrender jedoch tatsächlich war, erfährt man
erst in einer »Bestätigung«, die von einem ehemaligen Kameraden im Jahr 1929 ver-
fasst wurde:
Bestätigung
Herr Oberleutnant und Architekt
Rolf Geyling
hat sich während der ganzen Zeit seines Aufenthaltes im Kriegsgefangenenlager Dau-
ria in Sibirien im Interesse und zum Wohle der Allgemeinheit beruflich betätigt, indem er:
Von 1915 bis 1918 Vorlesungen über Geometrie, Darstellende Geometrie, Perspek-
tive, Baukonstruktionslehre, landwirtschaftliche Bauweise und Kunstgeschichte abhielt;
In denselben Jahren sich mit der Abhaltung von Spezialkursen mit Abschlussprüfun-
gen für eine Gruppe junger Lehrer, die ihre Seminarstudien nicht vollendet hatten, au-
ßerordentliche Mühe gegeben und außerdem noch Entwurf und die Ausführungsleitung
einer Anzahl Einzelgrabmale für im Kriegsgefangenenlager verstorbener Offiziere, Me-
diziner und freiwilliger Krankenpfleger übernahm, sowie gemeinsam mit Leutnant Kimm
die Friedhofspflege führte.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273