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Kriegsgefangenschaft 118
Diese freiwillige und selbstlos mit außerordentlichem Fleiß, Mühe und größtem Er-
folg geleistete berufliche Betätigung des genannten Herrn Architekten war für alle kriegs-
gefangenen Offiziere und Aspiranten und sonstigen Intellektuellen eine tiefempfundene
Wohltat, welche seine unzähligen Hörer zu immerwährendem Dank verpflichten.
Linz, am 20. November 1929
Coelestin Kahler
Oberstlt. d.R.
Ehem. rangältester Offizier im Kriegsgefangenenlager Dauria25
Im Lager Dauria schreibt Rolf auch erstmals etwas über die Lagerbedingungen der ein-
fachen Soldaten. Prinzipiell war den Offizieren jeder Kontakt mit der Mannschaft verbo-
ten, und durch die unterschiedlichen Haftbedingungen ergaben sich auch kaum Berüh-
rungspunkte. Allerdings wurde Rolf mit der Not der Soldaten allein dadurch konfrontiert,
dass er die vielen Toten sah, die aus dem Lager zum Friedhof gebracht wurden. Viele er-
froren, da sie kaum brauchbare Kleidung besaßen, und ebenso viele starben an Krank-
heiten oder aus Hunger.
22. Nov. Täglich trägt man eine Leiche früh aus unserem Haus vorüber nach dem Fried-
hof dort drüben auf einem öden Hügel. Es nimmt auch nicht Wunder, die armen Leute
hier bekommen fast nichts zu essen, haben großen Teiles keine Kleider mehr. Ihre alten
sind zerfallen und Neues bekommen sie, außer den Arbeitsmannschaften nicht, so kön-
nen sie aus den riesigen finsteren Baracken nicht heraus, bis sie ins Spital kommen. Zum
Heitzen bekommen sie ein Minimum an Kohle, aber seit letzter Zeit gar kein Holz mehr.
Da sie zum Anzünden haben müßen stehlen sie in der Nacht. Vom Bau der Kirche und
von verschiedenen Holzhütten verschwinden so Brett um Brett. Dafür sind hohe Stra-
fen ausgesetzt und mancher sitzt so für 30 Tage im Arrest, der zwischen Kälte und Ar-
rest zu wählen hatte.
Im Prinzip bestand in Russland während der ersten zwei Kriegsjahre keine Lebensmittel-
knappheit, und zu Kriegsbeginn wurde von den Behörden eine Verpflegungsration für
die gefangenen Mannschaften bestimmt, wie sie auch die russischen Soldaten erhiel-
ten. Doch als in Deutschland wegen der sich abzeichnenden Versorgungsengpässe die
Brotrationen für die Gefangenen herabgesetzt wurden, schränkte man in Russland die
Essensrationen ebenfalls ein. Auch die steigenden Nahrungsmittelpreise bewirkten eine
25 Unveröffentlichtes Schreiben im Nachlass Rolf Geylings
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273