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Die Jahre in Sibirien 119
Reduzierung der Verpflegung. Reinhard Nachtigal26 weist darauf hin, dass auch Trans-
portengpässe entscheidend für die prekären Versorgungslage in Sibirien waren, da die
Eisenbahn allein durch den Transport der Gefangenen mit größten Kapazitätsproblemen
zu kämpfen hatte. Ein wesentlicher Grund für die Unterversorgung der Lagerinsassen
speziell in Gebieten, die fern der Hauptstadt und der militärischen Zentralverwaltung
lagen, ergab sich schließlich aus der korrupten Verwaltungsstruktur: Da die Lagerkom-
mandanten das Geld verwalteten, mit dem die benötigten Lebensmittel vor Ort ange-
schafft wurden, kam es immer wieder zu Unterschlagungen, durch die sich die schlecht
bezahlten Lagerkommandanten einen Nebenverdienst sicherten.
Den Offizieren ging es deshalb deutlich besser, indem sie mit dem ausgehändigten
Geld wesentlich unabhängiger in der Nahrungsbeschaffung waren und die Möglichkeit
erhielten, sich selbst in den nahe gelegenen Lebensmittelgeschäften zu verköstigen.
Engpässe ergaben sich hier vor allem dann, wenn das Geld nicht rechtzeitig ausbezahlt
wurde. Rolf berichtet in den ersten zwei Jahren jedoch von keinen gravierenden Versor-
gungsproblemen unter den Offizieren, da der Kaufmann sogar Kredit gewährte – wäh-
rend die Mannschaft selbst Hunde aß.
24. Nov. Wir haben alle 47 Offiziere die wir zuletzt gekommen sind keinen Kopeken mehr.
Am letzten Zahltag waren wir auf der Reise; haben also nichts bekommen; hier gibt man
vor keine Dokumente zu haben, so müssen wir bis wer weiß wann noch warten. Die hie-
sigen Kameraden haben für uns 200 Rubel gesammelt, dank welcher unsere Menage
mit viel Kredit beim Kaufmann weiterwurschtelt.
In Anbetracht des allgemeinen strengen Alkoholverbotes ist bemerkenswert, dass ge-
rade der Alkohol immer wieder zu äußerst unerfreulichen Szenen mit den Wachmann-
schaften führte. Dauria lag sehr nahe an der Grenze zur Mandschurei, die zu der Zeit Teil
der Volksrepublik China war und von wo Schmugglerbanden die alkoholischen Getränke
bezogen. Diese illegalen Versorgungsmöglichkeiten führten unter der russischen Besat-
zung – und zwar in allen Dienstgraden – immer wieder zu Alkoholexzessen, wobei die
große Entfernung von St. Petersburg auch diesbezüglich dienstrechtliche Verfehlungen
begünstigte. Allerdings muss angemerkt werden, dass sich auch gefangene Offiziere mit
Alkohol versorgten, wann immer sie die Möglichkeit dazu erhielten. Unter diesen »Her-
ren«, wie die Mitgefangenen von Rolf stets bezeichnet wurden, kam es laut Rolf jedoch
26 R. Nachtigal: Kriegsgefangenschaft an der Ostfront 1914–1918. Frankfurt am Main; Wien [ u. a.
]
2005
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273