Seite - 123 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Die Jahre in Sibirien 123
des Lagers bezahlen und dieser forderte 160 Rubel, 100 wollte er nehmen und 60 kön-
ne sich der Major behalten ! Schließlich 20 Kopeken pro Bad.
20. Dez. Alle möglichen Geschichten von der Durchsuchung werden bekannt. – Abend
kommt ein russischer Soldat mit einer Flasche Schnaps um sie in einem Zimmer zu ver-
kaufen
! Weil sich die Herren zu lange überlegen wird er ängstlich und meint rasch, denn
der Zivilist steht mit dem Gewehr statt ihm am Posten. – Im Ganzen sind die russischen
Soldaten hier meist alte Landsturmleute, ehrlich und recht gutmütig. Gegen einige Ko-
peken kann man alles von ihnen haben, auch ihr eigenes Vaterland !
21. Dez. Große Schwierigkeiten bei allen Geldauszahlungen. Gage soll am russischen 20.
überall ausbezahlt werden, das Geld langt auch immer bei der Post ein, aber die Zah-
lung wird trotz aller Vorstellungen unsererseits mit allen erdenklichen Ausflüchten hin-
ausgezogen, oft 14 Tage. Mit Geldern die per Post für die Gefangenen ankommen ist es
noch viel schlimmer.
23. Dez. Abend gegen ½ 11 Uhr werden wir plötzlich zum Kommandanten ins Postge-
bäude gerufen und uns, wie schon lange versprochen und äußerst notwendig 50 Rubel
Vorschuß (
?
) ausgezahlt. Bisher war die Menage dem Kaufmann alles schuldig geblieben.
24. Dez. Tagsüber ist Alles recht nervös und vertreibt sich lärmend die Zeit, gegen abend
wird es aber immer ruhiger und nach dem Nachtmahl ists überall still. Nur im ungari-
schen Zimmer sucht man durch gewohntes Singen Stimmung zu erzeugen, aber selbst
dort klingt es heute viel zamer als sonst. Mein Zimmergenosse Siegl, dem es besonders
schwer zu fallen scheint ist in andere Gesellschaft gegangen. So bin ich alleine in mei-
nem Zimmerchen und beschäftige mich am schönsten indem ich meiner Frau schreibe
und so all die Weihnachten der letzten Jahre an mir vorüber ziehen lasse. So beschäf-
tige ich mich bis gegen 3h nachm. um welche Zeit sie daheim wohl auch schon beim
Kristbaum stehen müssten. Gott gebe es, daß sie ihnen so fröhlich und gut werde als
nur immer möglich.
Bezeichnend für Rolf ist, dass sogar am Weihnachtstag, der wohl alle Gefangene mit
Wehmut erfüllte, jegliche emotionale Regung abzuwehren versucht und sich von den
Kameraden weitgehend isoliert. Auffallend ist aber auch noch ein anderes Detail: So wie
schon seinerzeit bei seinem Einrückungstermin hat Rolf den Namen seiner Frau auch
dieses Mal nicht niedergeschrieben, während er in anderen Tagebucheintragungen, in
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273