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Kriegsgefangenschaft 138
Mit zunehmender Dauer der Gefangenschaft erlebte Rolf auch unter den gefangenen
Offizieren Korruption und Verrohung, wobei ihn insbesondere die damit verbundene
Verletzung der Standesehre empörte. Rolf vermag die Enttäuschung über das Verhalten
der »Herren« nunmehr kaum zu verbergen und wirkt im Vergleich zum ansonsten sach-
lichen Sprachstil des Tagebuchs geradezu sarkastisch und verbittert, wenn er schreibt:
Die Gebahrung unserer eigenen Herren ist schändlich und ist die Korruption und Egois-
mus noch weit ärger als beim Feind. Weil sie weit vom Schuß sind steigt wieder der Kamm
und durch Verschlagenheit und dienstliches GroĂźtuen wollen sie die verlorene Stellung
wieder erringen. Wo es möglich ist werden die R. Herren [  Offiz. in Reserve  ?  ] benachtei-
ligt und konstruiert man einen eigenen Vorteil heraus. Es hat schon manchen haarsträu-
benden Vorfall gegeben und scheint sich nur zu verschärfen. Der Major Kahler als Kom-
mandant wäre ganz wohlwollend, aber einige Hauptleute als Ohrenbläser können der
Rücksichtslosigkeiten nicht genug ausfindig machen und verstoßen dabei gröblichst ge-
gen Reglement. Was ihr böses Beispiel an Trunkenheit und die unverschämte Aneignung
von Rote-Kreuz-Geschenken anbelangt wären Bücher zu schreiben.
25. Juni Die schwedische Rote-Kreuz-Kommission ist vorgestern endgĂĽltig abgereist, bis-
her war sie 4 mal hier und hat uns Sicherheit gegeben. Heute war auch gleich hochnot-
peinliche Hausdurchsuchung und hat man uns alle Metallgegenstände ( 
Gold, Silber, Alu-
minium, Kupfer etc.  ) abgenommen und auch alle Papiere auf denen irgend geschrieben
war, und alle Bücher. Das Spazierengehen wurde eingeschränkt auf 9–1h und 6–8h. Unser
Gebäude Sobranje, weil es mit einer Zivilperson in Berührung getreten war, wurde von
eigenen Posten umstellt und darf 5 Tage niemand von uns heraus und sonst niemand
hinein  ! Wir trösten uns aber, denn solche Maßregeln treffen die Russen immer wenn
es ihnen an der Front nicht nach Wunsch geht. Ihr Durchbruch an der galizischen Front,
von dem sie ungeheuren Lärm machten, hatte eben doch wenig Erfolg. Lord Kitchener,
der in Petersburg erwartet wurde, mag selig am Meeresgrunde ruhen.33
Rolle mit 29 Architekturskizzenblättern – Wiener Adresse. Schwedische Rote Kreuz
Kommission Dr. Halström, Stockholm 15.
Mit dem »Durchbruch [  der Russen  ] an der galizischen Front« spielt Rolf auf die soge-
nannte Brussilow-Offensive an. Nachdem Frankreich und Italien im Kriegsjahr 1916 durch
33 Lord Kitchener, englischer Kriegsminister, befand sich an Bord des Panzerkreuzers HMS
Hampshire, der auf eine Mine auflief, die vermutlich von einem deutschen U-Boot gelegt wor-
den war.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273