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Kriegsgefangenschaft 140
lich rasch vergeht. [ … ] Ich muß auch am Morgen verhältnismäßig zeitlich aufstehen, das
ist 6 oder ½ 7 Uhr sonst komme ich mit der Zeiteinteilung gar nicht zurecht und mache
mir am Abend noch Vorwürfe über zuwenig Getanenes.«
Die 29 Architekturskizzenblätter, die Rolf dem Schwedischen Roten Kreuz übergab,
haben ihr Ziel tatsächlich erreicht und befinden sich heute ebenso im Privatarchiv des
Sohnes Franz Geyling in den USA wie weitere Skizzen, die wahrscheinlich auf dem glei-
chen Weg Sibirien verlassen haben. Bemerkenswert ist, dass ein Teil von Rolfs Skizzen
sogar in einer Ausstellung gezeigt wurde, die in den Geschäftsräumen der Daimler-Wer-
ke am Kärntner Ring in Wien stattfand, wie das »Neue Wiener Journal« am 4. März 1917
berichtete. Demzufolge wurden »künstlerische und kunstgewerbliche Arbeiten der ös-
terreichisch-ungarischen und deutschen Kriegsgefangenen« gezeigt, die in verschie-
denen Lagern in Sibirien von den Lagerinsassen hergestellt wurden. »Der Sammler war
Dr. Gustav Hallström, der Begleiter der schwedischen Liebesgaben.« Zu den ausgestell-
ten Arbeiten von Rolf heißt es in der Rezension des »Neuen Wiener Journals«: »Vom Ar-
chitekten Professor Rolf Geyling sind sehr interessante Entwürfe zu Architekturen und
Monumenten ausgestellt, die gleichfalls in Sibirien entstanden sind. Sie sprechen von ei-
ner originellen, schöpferischen Phantasie, auch wie gerade die barbarische Umgebung
befruchtend einzuwirken schien«.
Die erhaltenen Skizzenblätter stellen das wichtigste Zeugnis von Rolfs Beschäfti-
gung mit Architektur während seiner Gefangenschaft dar, indem sie sein ungebro-
chenes Interesse an der Bewältigung der unterschiedlichen Bauaufgaben dokumen-
tieren. Drüber hinaus erlaubt die zeichnerische Gestaltung von Villen, Landhäusern
oder etwa einem Beamtenwohnhaus in troPPau ( Farbabb. 12 ) sowie von Kaufhäu-
sern und Denkmälern einen aufschlussreichen Einblick in die nach Individualität su-
chende Handschrift des jungen Architekten. Der Großteil der Entwürfe entstand in den
Jahren 1916–1918 im Lager Dauria, einige wenige Skizzen jedoch auch im Lager Anti-
picha, in dem Rolf im Jahr 1918 für rund sieben Monate interniert war, bevor er nach
Wladiwostok verlegt wurde.
Damit Rolf überhaupt beginnen konnte, war die große Herausforderung zu bewäl-
tigen, halbwegs geeignetes Papier und Zeichenmaterial zu beschaffen. Zum Teil konn-
te Rolf gewöhnliche Schulhefte kaufen ( Farbabb. 13 ), zum Teil aber verwendete er dün-
nes Papier, mit dem der kleine Kaufmann im nahe gelegenen Ort seine Ware einpackte.
In seinen Studien befasst sich Rolf nicht nur mit den verschiedensten Bauaufgaben,
sondern auch mit diversen Stilen der Vergangenheit, wie Barock und Gotik, in die er wäh-
rend seines Studiums an der Technischen Hochschule eingeführt worden war. Ihn dürf-
te nicht zuletzt die Konstruktions- und Ausdrucksweise dieser Stile fasziniert haben, die
er nun zu eigenen Kreationen verarbeitete. Darüber hinaus finden sich in Rolfs Skizzen-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273