Seite - 141 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Bild der Seite - 141 -
Text der Seite - 141 -
Die Jahre in Sibirien 141
blättern natürlich auch die Impulse der Wagner-Schule, die er während seines Studiums
an der Akademie empfangen hatte.
Vergleicht man die Entwürfe verschiedenster Architekten, die in den Kriegsjahren ent-
standen waren und in diversen Fachzeitschriften publiziert wurden, so zeigt sich, dass
am Beginn des 20. Jahrhunderts scheinbar alles erlaubt war. Fast hat es den Anschein,
dass die Architekten das Ende der Epoche ahnten und noch einmal ihr ganzes Können
und Wissen, das sie sich anhand der Stile der Vergangenheit angeeignet hatten, erpro-
ben wollten. Zum Teil zeigen sich die Gebäude bizarr mit Ornamentik überwuchert und
die Baukörper romantisch aufgegliedert, zum Teil bricht sich auch schon der nüchter-
ne Funktionalismus der Moderne Bahn. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich in
den emotional geführten Architekturdebatten, die sich um die »richtige« Stilwahl dreh-
ten, nämlich immer öfter der Standpunkt durch, dass sich die »Stilarchitektur« überlebt
habe bzw. eine zeitgemäße Weiterentwicklung der diversen Stile ausgeschlossen sei. Der
historisierenden Redundanz und »Wiederkehr des Immergleichen« wurde eine »Neue
Sachlichkeit« entgegengestellt, die kurze Zeit später, nämlich in den 20er- und 30er–Jah-
ren, ihren Höhepunkt erreichte und die – auf jegliche Ornamentik verzichtend – in ku-
bischen, zumeist flach gedeckten Baukörpern ihren Idealtypus fand.
Für Rolf bedeuteten die in der Gefangenschaft erstellten Skizzen gleichfalls den Ab-
schied von der »Stilarchitektur«, und auch er ging in der Folge weitgehend neue Wege.
Viele seiner Entwürfe bestehen aus nur flüchtig hingeworfenen Bleistiftskizzen, doch fin-
den sich ebenso sorgfältige, mit Tusche oder Malfarben ausgearbeitete Blätter. Sämtli-
che Arbeiten demonstrieren jedoch Rolfs Zeichentalent, das schon während seines Stu-
diums gelobt worden war und nun auch anhand anderer Themen, wie zum Beispiel in
der Skizze »stadt an einem fluss«, zutage kommt. (Abb. 61)
Rolfs vielseitiges grafisches Ta-
lent wird aber auch an der sorgfäl-
tig ausgearbeiteten Studie »haus und
Garten« augenfällig, die wahrschein-
lich von Anfang an als Deckblatt einer
Zeitschrift vorgesehen war. Der Garten
als wichtige Erweiterung des Hauses
war um die Jahrhundertwende durch
die Jugendstilbewegung zu einem ar-
chitektonischen Topos geworden. So
dürfte es denn auch mehr als ein Zufall
sein, dass Rolfs bereits erwähnter ehe-
maliger Studienkollege Josef Frank im 61 Stadt an einem Fluss
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273