Seite - 143 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Die Jahre in Sibirien 143
hundert hauptsächlich im Kirchen- und Fabrikbau verwendete Sichtziegel ansonsten
für viele von Rolfs Architektenkollegen an Bedeutung verlor. Bei einer arBeitersiedlunG
sieht Rolf beispielsweise die Kombination von Putz- und Ziegelbau vor. ( Farbabb. 15 )
Ausschließlich den Sichtziegel wählte er bei einem größeren, einstöckigen wohn-
haus, für das er auch einen passenden Arkadengang entwirft. Rolfs Liebe zum Detail –
oder seine Lust am Zeichnen – zeigt sich an der Dachgaupe, die an der Spitze der stei-
len Überdachung einen Vogel aufgesetzt erhielt. ( Farbabb. 16 )
Und vielleicht dachte Rolf an die Ziegelfabrik, die sein Schwiegervater mit Erfolg in
Bukarest betrieb, als er bei einem Plakatentwurf für eine anonyme Baufirma »societa-
tea anonimà de constructi«, die Bedeutung des altbewährten Ziegelmaterials deutlich
demonstrierte. ( Farbabb. 17 )
Seit sich die Architekten die Stile der Vergangenheit für neue Kreationen nutzbar
gemacht hatten, stellten sie sich der Herausforderung, ein und dieselbe Bauaufgabe in
verschiedenen Stilen »durchzuspielen«. Das ist bei Friedrich Schinkel Anfang des 19. Jahr-
hunderts ebenso zu beobachten wie etwa bei Friedrich Schmidt in der zweiten Jahrhun-
derthälfte, um nur zwei herausragende Baukünstler zu nennen. Auch Rolf wendet diese
Möglichkeit bei der Variation eines ZentralBaus an, doch zeigt er dabei deutlich, dass er
der Generation der Eklektiker entstammt, indem er unbekümmert auch durchaus gewag-
te Stilmischungen riskiert. Eine der Skizzen präsentiert mit ihren spitzgiebeligen Dächern
eine Art Heimatstilvariation, wobei in die Gestaltung der Fenster auch stilisierte gotische
Elemente einfließen. Eine weitere kleine Zeichnung lässt als Variation einen mit einer fla-
chen Kuppel gedeckten, modern anmutenden Rundbau erkennen, bei dessen Baukör-
per mittels Säulenkompartimenten klassizierendes Vokabular einfließt. Schließlich gibt es
auch eine Variante mit einer modernisierten Kuppel auf einem hohen Tambour und ei-
nem Säulenportikus, der anscheinend an allen vier Seiten vorgesehen war. Insbesonde-
re durch die Darstellung der zusätzlichen zwei Trajansäulen verweist dieser Entwurf di-
rekt auf die barocke Karlskirche. An der Spitze der zwei kolossalen Triumphsäulen deutet
Rolf jedoch Rauchfahnen an – ein zeichnerisches Mittel, das üblicherweise dazu diente,
auf eine Gedächtnisstätte hinzuweisen. Eine weitere Abwandlung des KuPPelrundBaus
erzeugt den Eindruck, dass hier eine modifizierte barocke Kuppel gleichsam abgeschnit-
ten und auf den Boden gestellt wurde. Stufenartig ausgebildete »Strebepfeiler« verwei-
sen wiederum auf Konstruktionstechniken der mittelalterlichen Baukunst. (Abb. 64 und 65)
Bereits im Jahr 1915 hatte das österreichische Ministerium für Kunst und Unterricht
einen Wettbewerb für ein Kriegerdenkmal ausgeschrieben. Die besten Ergebnisse wur-
den in einem Supplementheft der Zeitschrift »Der Architekt« im Jahr 1916 publiziert, und
auch in anderen Fachzeitschriften wurden wiederholt Entwürfe für Krieger- bzw. Hel-
dendenkmäler veröffentlicht. Auch Rolf hat sich mit diesem Thema mehrmals beschäf-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273