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Kriegsgefangenschaft 146
Ein anderes Denkmal, das Rolf als Gedächtnisstätte für Kaiser franZ Josef entwor-
fen hat, zeigt einmal mehr seine Vorliebe, gotisches Vokabular frei modifiziert zu erpro-
ben. Der Entwurf sieht einen mächtigen Zentralbau vor, und um die gigantischen Di-
mensionen zu veranschaulichen, zeichnet Rolf sogar einen Betrachter daneben, was er
in keinem der sonstigen Entwürfe für nötig hielt. Der Baukörper scheint ganz in große
Spitzbogenfenster mit modernisiertem Maßwerk aufgelöst. Interessant ist, dass Rolf in
einer daneben flüchtig hingeworfenen Skizze ein Detail eines gotischen Gebäudes an-
deutet, mit dem er seine genaue Kenntnis der mittelalterlichen Bauweise dokumentiert.
Als Eklektiker erweist sich Rolf hingegen wieder in der – der Gotik widersprechenden –
Überkuppelung des Gebäudes mit ziseliert aufgelösten Verstrebungen. ( Farbabb. 18 )
Auch in einer Reihe weiterer Denkmalentwürfe zeigt sich Rolfs Vielseitigkeit sowohl in
stilistischer als auch konstruktiver Hinsicht. Noch in der Gefangenschaft konnte Rolf tat-
sächlich ein Kriegerdenkmal ausführen, obwohl sich die Ehrung nicht auf den Kaiser und
nicht mehr allein auf die Truppen der Monarchie beziehen sollte, wie sich noch zeigen wird.
Besonders intensiv befasste sich Rolf in jener Zeit mit Entwürfen für Wohnhäuser,
wenngleich er in den wenigsten Fällen auch Grundrisse ausarbeitete. Zum Teil waren
diese Projekte fiktiven Auftraggebern zugedacht, zum Teil fertigte er aber auch konkre-
te Entwürfe etwa für ein »Beamtenwohnhaus« oder für Kameraden an. Auf diese Weise
projektierte Rolf während seiner Gefangenschaft kleinere Villen ebenso wie herrschaftli-
che Landhäuser, wobei er fast ausnahmslos einen Bauplatz außerhalb der Stadt annahm.
Dadurch entzog er sich der Verpflichtung, gestalterisch auf schon bestehende Bauten
Rücksicht zu nehmen, und die Aufgabe, die er sich stellte, zielte stattdessen darauf ab,
die Gebäude in eine scheinbar unberührte Landschaft zu integrieren, ohne als stören-
de Fremdkörper zu wirken. Diese Vorgangsweise entsprach einer durchaus programma-
tischen Forderung, die etwa auch für Architekten wie Alfred Loos und Josef Hoffmann
charakteristisch war, wenn sie Villen außerhalb der Stadt errichteten.
Im ästhetischen Kanon des frühen 20. Jahrhunderts wurde die Harmonie mit der
umgebenden Naturlandschaft etwa dadurch gewährleistet, dass die Gebäude auf Hau-
steinsockeln ruhten, mit Fensterläden sowie steilen Gaupendächern versehen waren und
Holzschnitzwerk, Holzverkleidungen bzw. Bestandteile aus dem Fachwerkbau in die Fas-
sadengestaltung aufgenommen wurden. Insgesamt wurden diese Elemente unter der
Bezeichnung »Heimatstil« subsumiert. Mithilfe pittoresker Ausdrucksmittel wurde den
Gebäuden jener Habitus verliehen, der letztlich mit »Naturnähe« und in weiterem Sinn
sogar mit »Geborgenheit« gleichgesetzt worden war. Damit konnte das Malerische auch
jener Entfremdung entgegengesetzt werden, die die Industrialisierung samt ihren ge-
sellschaftpolitischen Umbrüchen hervorrief, sodass die malerisch-pittoreske Gestaltungs-
weise schließlich sogar in der Großstadt selbst Einzug hielt.
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273