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Die Jahre in Sibirien 147
Auch Rolf orientierte sich mehr oder weniger umfassend an diesen Regeln, zeigt aber
eine bemerkenswerte Bandbreite seiner Vorstellungen. So variationsreich er seine Einfa-
milienhäuser indessen konzipierte, haben doch alle eines gemeinsam: Sie strahlen durch
ihre malerischen Attribute durchwegs jene Geborgenheit und familiäre Wohnlichkeit aus,
welcher die Gefangenen in Sibirien besonders schmerzlich entbehrten.
Eines der Einfamilienhäuser, eine Villa mit Garten, fällt etwa durch ein hochgezo-
genes Dach mit verschieden großen Dachfenstern und einem extrem hohen Sockel auf.
Das Bruchsteinmauerwerk des Sockels, eine Türe und Rundbogenfenster mit Bogen-
quaderung unterstreichen den malerischen Habitus des Gebäudes. Bemerkenswert ist,
dass Rolf bei diesem Gebäude zwar jegliche Ornamentierung weglässt, aber bei eini-
gen Fenstern im Obergeschoß die Sprossen jugendstilartig ornamental gestaltet und
damit an die Gebäude erinnert, die er noch vor Kriegsausbruch entworfen hat. Auch da-
mals ersetzten eigenwillige Sprossenteilungen bisweilen den sonstigen Bauschmuck zur
Gänze. Das Haus scheint Rolf besonders beschäftigt zu haben, denn er vermerkt, dass
er sich schon während seiner Inhaftierung in Kiew, in der Zeit zwischen 18. und 28. Juni
1915, erste Gedanken zu diesem Entwurf gemacht habe. Während seiner Gefangenschaft
in Dauria arbeitete er die Skizze im April 1916 sodann besonders sorgfältig aus, und er
projektierte im Unterschied zu den übrigen Entwürfen hier auch sorgfältig die Anlage
eines Gartens. Bei fast allen sonstigen Wohnhäusern deutete Rolf demgegenüber um-
gebende Bäume oder Buschwerk zumeist nur an. ( Farbabb. 19 )
Auch beim wohnhaus »r« plant Rolf das gesamte Erdgeschoß aus Bruchsteinmau-
erwerk und zieht dieses Material sogar teilweise bis in die Balkonbrüstung des darüber-
liegenden Stockwerks hoch. Gedrechselte Säulchen und eine ornamentale Betonung des
Eingangs geben dem Haus eine verspielte Note. (Abb. 68)
68 Wohnhaus »R«
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273