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Kriegsgefangenschaft 170
Die damalige Bedeutung dieses Denkmals zeigt sich auch daran, dass die Nachricht von
seiner Errichtung bis weit über die Grenzen Sibiriens hinaus verbreitet wurde. Sogar in
der Lagerzeitung »Die Baracke«, die im Kriegsgefangenlager Bando in Japan hergestellt
wurde, ist eine Zeichnung des Denkmals abgedruckt.
Die Vollendung des Denkmals sowie seine feierliche Einweihung scheint Rolf auch als
Zäsur seines eigenen Lebens empfunden zu haben, denn nun entscheidet er sich plötz-
lich zu einem höchst riskanten und ebenso weitreichenden Schritt. Am 10. 2. 20 schreibt
er in sein Tagebuch: »Abreise aus Wladiwostok mit falschen Papieren über chinesische
Grenze. Japanischer Offizier musste noch Fotografie für mein Passpapier aufnehmen !«
Es ist fast unglaublich, dass dieser kurze Satz das Ende von Rolfs mehr als fünf Jahre
währender Kriegsgefangenschaft markiert, denn wiederum findet sich keine Emphase
in der Niederschrift und keinerlei mitschwingende Emotion. Fast scheint es, als ob Rolf
in seiner Flucht nur einen weiteren pragmatischen Schritt gesehen hätte, der angesichts
der Umstände folgerichtig zu setzen war und den es nun sachlich und in aller gebote-
nen Kürze zu berichten galt.
Rolf hatte seine Flucht nur wenige Monate vor dem Zeitpunkt in die Wege gelei-
tet, zu dem eine offizielle Entlassung aus der Gefangenschaft möglich geworden wäre,
und so stellt sich die Frage, wie sich Rolfs weiterer Lebensweg wohl gestaltet hätte,
wenn er mit einem regulären Transport in seine Heimat zurückgekehrt wäre. Bereits
im April 1920 waren von den ehemaligen Mittelmächten Verhandlungen mit Russland
zur Rückführung der restlichen Gefangenen aus Sibirien aufgenommen worden. Am
7. Juli 1920 schließlich kam ein Abkommen zwi-
schen Österreich und der Sowjetregierung zu-
stande, das den Heimtransport der restlichen
Gefangenen regelte – rund fünf Monate nach-
dem Rolf bereits auf eigene Faust mit gefälsch-
tem Pass aus dem Lager geflohen war.
Das Zustandekommen seines Passes erklär-
te Rolf später so: Die Flucht war gemeinsam mit
zwei Kameraden vorbereitet worden, wobei ei-
ner der beiden ein Holzschnitzer aus Südtirol war,
der, nachdem Südtirol von Italien annektiert wor-
den war, auch einen italienischen Pass erhalten
hatte. Aufgrund seiner handwerklichen Geschick-
lichkeit stellte dieser Südtiroler Holzschnitzer zwei
Pässe nach dem Muster seines eigenen her. Das
Foto steuerte schließlich ein japanischer Offizier 77 Foto für den gefälschten Pass
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273