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die Sonne so kräftig, dass alle, sowohl Männer als auch Frauen und Kinder, Tropenhel-
me oder die schirmartig geformten Strohhüte trugen, wie sie auch die einheimische Be-
völkerung verwendete. Im Winter hingegen waren, vor allem wegen der eisigen Stür-
me, Pelzmützen mit Ohrenklappen, wie sie in Nordchina bzw. in der Mongolei getragen
wurden, üblich.
Wie Hermine später erfuhr, gab es in der Britischen Konzession sogar ein oder zwei
elegante Modehäuser, die Kleidung aus New York, London und Paris importierten. Um
die hohen Kosten solcher importierten Ware zu vermeiden, ließen allerdings die meisten
Ausländer ihre Kleidung anhand von Schnittmustern, die aus dem Heimatland bezogen
wurden, oder mithilfe neuester Modemagazine von einheimischen Schneidern anfertigen.
Blieb noch die Frage, was das Ehepaar für den neu einzurichtenden Haushalt brau-
chen würde. Da in China die Lebenshaltungskosten sehr hoch und auch Neuanschaffun-
gen sehr kostspielig waren und nicht zuletzt Rolfs beruflicher Neuanfang größte Spar-
samkeit erforderte, war es notwendig, möglichst alles, was das Ehepaar die nächsten
Jahre benötigen würde, mitzunehmen. Neben Bett- und Tischwäsche sowie Geschirr etc.
sollten jedenfalls auch persönliche – durchaus auch luxuriöse – Dinge eingepackt wer-
den, die einerseits dem Ehepaar wenigstens in ihrem Heim ein vertrautes Umfeld bieten
und die andererseits ihren gesellschaftlichen Status repräsentieren sollten. Hermine hat-
te also schwere Entscheidungen zu treffen, wobei Rolf offensichtlich nicht recht hilfreich
gewesen war. Denn später, in dem erwähnten Brief an ihre Schwiegermutter vom 20. Ok-
tober 1921, beklagte Hermine, dass sie nicht mehr von zu Hause mitgenommen habe:
»Ja hätte ich die Verhältnisse hier besser gekannt, aus Rolf wurde man nicht recht klug.«
Endlich waren jedoch die Kisten gepackt, und nachdem Rolf auch seine beruflichen
Angelegenheiten erledigt hatte, trat das junge Ehepaar im Juli 1921 die Reise nach Chi-
na an. Bereits der Start in das neue Leben gestaltete sich allerdings abenteuerlich und
beschwerlich. Die Schiffsreise begann in Venedig und führte zunächst Richtung Suez-
kanal. Während der ersten Wochen soll es so heiß gewesen sein, dass sogar ein Offizier
des Schiffes an einem Hitzeschlag verstarb. Als das Schiff den Indischen Ozean erreich-
te, geriet es hingegen in einen Monsunsturm, wie selbst der Kapitän des Schiffes ihn
bislang nicht erlebt haben soll. Alle Passagiere wurden seekrank, und auch Rolf konnte
seine Kabine die längste Zeit nicht verlassen. Nur Hermine blieb verschont und konnte
daher ihren Mann betreuen.
Schließlich erreichte das Ehepaar Shanghai. Rolf hatte ursprünglich geplant, mit dem
Zug nach Tientsin zu reisen, damit seine Frau erste Eindrücke von dem Land gewinnen
könne. Wieder wurden die beiden allerdings von extremen Wetterbedingungen empfan-
gen: Die Regensaison verlief so außergewöhnlich heftig, dass das Eisenbahnnetz und die
Straßen überflutet waren und die Fahrt von Shanghai nach Tientsin nur mit dem Schiff
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273