Seite - 197 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Bild der Seite - 197 -
Text der Seite - 197 -
Aufträge und Rückschläge 197
ne Schmutzigkeit und sein Geiz wurden letzterzeit, als eben die Geschäfte nicht mehr
so gut waren als einst unerträglich. [ … ] Die Teilung des Besitzes, der Pläne etc. gab viel
Anlass zu Ärger.«
Ab diesem Zeitpunkt führte Rolf seine Firma ohne Teilhaber weiter. Allerdings war er
sich bereits bei der Rückkehr aus Europa bewusst, dass er aufgrund der wirtschaftlichen
Lage beruflich einer ungewissen Zukunft entgegensehen müsse, wie er seiner Mutter
am 5. März 1930 schreibt: »Geschäftlich sieht es ja sehr traurig aus, es dürfte wol ein Jahr
werden, wie es selbst sehr alte Chinaleute noch nicht erlebt haben.« Der Grund für die-
sen Pessimismus war der Anstieg des Silberpreises, der zu einem erheblichen Abfluss
des Edelmetalls aus China und schließlich zur Entwertung des Silberstandards führte.
Eine äußerst hohe Inflation war die Folge, die Lebenshaltungskosten stiegen beträcht-
lich, und die private Bautätigkeit kam vorerst weitgehend zum Erliegen. Als Rolf 1931 die
Ausschreibung für eine Hochwasser-Abfanganlage und Schiffsschleuse in Bei Tsang, in
der Nähe von Tientsin, für sich entscheiden konnte, freute er sich jedoch nicht nur über
den beruflichen Erfolg. In den bereits erwähnten Brief vom April 1931 schreibt er seiner
Schwester: »Das war die erste Gelegenheit wo wir uns als Concurrenten [
mit Felix Skoff ]
trafen, dazu eine Ingenieursarbeit, also sein Feld. Natürlich hatte ich allen Ehrgeiz ihm
meine Überlegenheit zu zeigen, ging sehr ernst an die Sache, und unterbot ihn so er-
heblich dass es eine richtige Blamage für ihn war. Schließlich bekam ich auch die Arbeit,
ich mache sie mit einem Chinesen zusammen, zugeschlagen, und bin schon seit sechs
Wochen festes an der Arbeit.« Wahrscheinlich war spätestens für dieses Großprojekt
eine Vergrößerung des Büros notwendig geworden. Rolf bezog nämlich Anfang 1931
neue Büroräume in einer der wichtigsten Geschäftsstraßen in der englischen Konzession.
Trotz der andauernden Inflation – oder besser aufgrund der Inflation – besserte sich
zusehends Rolfs Auftragslage im privaten Wohnbau. Denn wegen der Geldentwertung
legten viele Europäer, aber auch Chinesen ihr Kapital in Grundbesitz an, und Rolf be-
kam ab Mitte der 1930er-Jahre eine Reihe von Aufträgen für die Errichtung von Villen,
Wohn- und Geschäftshäusern auf ebendiesen Liegenschaften. Am 19. 11. 1935 schreibt er
seiner Schwester, wie auch er auf die steigende Inflation reagierte: »Da die hiesige Wäh-
rung auch eine starke Senkung erfahren hat und infolge der politischen Ereignisse im
gewissen Grade gefährlich ist, so war ich gezwungen meine Ersparnisse raschest flüssig
zu machen und in Haus und Boden anzulegen. Ich hatte dies gerade noch rechtzeitig
eingeleitet und werde somit von der Währungssenkung nur bis zu ¼, höchstens ⅓ be-
troffen. Ich habe noch ein Grundstück mit vier baufälligen Häusern in Peitaiho gekauft
und ein kleines Grundstück in der englischen Konzession auf dem ich ein Miethaus mit
10 Vierzimmerwohnungen baue [ Cambridge Flats ]. Der Bau geht rapid und ist schon
im 3. Geschoß, soll heuer noch fertig werden. Das Bauen ist hier sehr billig. Ich erhof-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273