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Das architektonische Werk 211
nischen Gründen, teilweise bedingt durch die Schwierigkeiten der Fundierung auf dem
ausserordentlich schlechten Baugrund Shanghais hat der Architekt ein System von Be-
tonrahmenwerken gewählt, welche Emporen und Dach bei möglichst geringem Eigen-
gewicht tragen sollen. Die äussere Erscheinung des Baues bringt dieses Konstruktions-
system klar zum Ausdruck und passt sich durch konstruktive Schlichtheit den genannten
Nachbarbauten an.« Die Besonderheit dieser Konstruktion unterstreichend, wählt Rolf
für dieses Projekt sogar das Motto »Betonrahmenwerk« – eine geradezu provokante
Bezeichnung, wenn man bedenkt, dass traditionell ein Hinweis auf die Bestimmung des
Gebäudes erwartet wurde. (Abb. 93)
Rolf plante die Kirche als Zentralbau mit einem dreifach abgestuften Zeltdach sowie
einem polygonalen, flach gedeckten Choranbau. Die Wände bestehen beinahe nur aus
großen Fenstern, die dem Gebäude Leichtigkeit und Transparenz verleihen. So wie bei
dem Radfenster beim Hauptbahnhof in Dairen bediente sich Rolf bei den Fenstern des
Kirchenbaus einer Methode, derer sich in Europa die beginnende Moderne gerne be-
diente: Bekannte Elemente eines Stils der Vergangenheit werden so weit modifiziert, dass
der Betrachter gerade noch an Vertrautes erinnert wird, der Architekt sich jedoch durch
die neuartige Formulierung als der Moderne zugehörig erweist. Man erinnert sich, dass
Rolf dieses Verfahren schon während seiner Gefangenschaft bei seinem Entwurf für ein
Kaufhaus am gotischen Stil erprobte. Noch radikaler hat er bei der Protestantischen Kir-
che das »gotische« Maßwerk der Fenster in geometrische Formen uminterpretiert. Be-
dauerlicherweise bekam Rolf jedoch nicht die Gelegenheit, das Projekt zu realisieren.
Im gleichen Jahr erhielt Rolf den Großauftrag zur Errichtung einer hochwasser-aB-
fanGanlaGe und schiffsschleuse Bei tientsin, 1930/31. Tientsin liegt auf einem Teil der
93 Deutsche
Protestantische
Kirche in Shanghai,
Wettbewerbsentwurf
1930
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273