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Interpretation und Sichtweise nachvollziehbar sind. Die Verpflichtung, regelmäßig Brie-
fe zu verfassen, war fĂĽr sie jedoch sehr belastend, obwohl sie bei ihrer Schwiegermut-
ter – die an ihre Mutter sind nicht erhalten – sehr offen über ihre Sorgen und Nöte ihr
Herz ausschütten konnte. Ihren Mann wollte sie nämlich möglichst nicht mit ihren Pro-
blemen belästigen, sondern im Gegenteil »immer ein heiteres Gesicht« zeigen, um ihn
bei seinem beruflichen Fortkommen nicht zu hemmen. Ihre unerschütterliche Loyalität
zu ihrem Mann zeigt sich in dem bereits erwähnten Brief vom Jänner 1924, in dem sie
auf Vorwürfe reagierte, die ihre Schwiegermutter hinsichtlich ihres Sohnes äußerte: »Ei-
nes kann ich dir nur sagen, liebe Mama, dass Rolf nicht wie Du immer angenommen hast,
das egoistischste Deiner Kinder ist. [  …  ] Leider hat er seine verschlossene Art in Vielem
beibehalten – so ist es für mich recht schwer hier oder da einzusetzen – und Alles kann
ich auf die Dauer nicht erraten oder riechen – es ist furchtbar schwer. [  …  ] Nicht das er
mir nichts anvertrauen würde, doch er bespricht mit mir Manches aber eigentlich behält
er immer noch etwas für sich – sei es aus Bequemlichkeit – d. h. da er müde davon ist –
oder aus angeborener Geheimniskrämerei.« Der Vorwurf über die Verschlossenheit ih-
res Mannes, die sie in gewisser Weise immer auch als Vernachlässigung empfand, kam
von Hermine mehrmals. Allerdings versicherte sie immer, dass sie ihren Mann trotz al-
lem nach besten Kräften zu unterstützen versuche, wenngleich sie dabei manchmal an
ihre Grenzen stoße, wie sie in demselben Brief klagt: »es hält manchmal schwer, ich habe
nichts von ihm, nicht die geringste Freude ein Tag ist wie der andere – farblos- freud-
los – und ich soll immer mehr geben an guter Laune.«
Da auch Rolf die Wohnsituation unerträglich fand und er Hermine versprochen hatte,
spätestens nach einem Jahr eine andere Wohnung zu suchen, mietete er im September
1922 ein geräumiges Haus, das in der ehemaligen deutschen Konzession erbaut worden
war. Bereits als das Ehepaar in China angekommen war, hat Rolf seine junge Frau um Ver-
ständnis gebeten, dass sie beide in größter Genügsamkeit leben müssten, da er sämtliche
finanziellen Mittel benötige, um sich seine beruf-
liche Existenz aufbauen zu können. Aus Gründen
der Sparsamkeit kaufte das Ehepaar daher ge-
brauchte Möbel für das Speise- und Schlafzim-
mer. Nur fĂĽr das Wohnzimmer wurde eine neue
Einrichtung angefertigt, wie Hermine im Juni 1923
ihrer Schwiegermutter stolz berichtet: »Rolf hat es
entworfen und ich durfte meinen Senf dazu ge-
ben und nach vielen Meinungsverschiedenheiten
entstand dann dieses Prachtwerk. Wir sind ganz
glücklich – das es so wohlgelungen ist. Es war für 112 Wohnzimmer, der Kachelofen
wurde aus Ă–sterreich importiert
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine KĂĽnstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- ArchitekturentwĂĽrfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Ăśbergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen fĂĽr uns 230
- Sehnsucht nach Ă–sterreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273