Seite - 235 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Wir leben recht abgeschlossen für uns 235
Insgesamt scheint das Leben des Ehepaares über weite Strecken eher parallel als
gemeinsam verlaufen zu sein. Rolf ging in seiner Arbeit auf, hatte wohl immer wieder
mit beruflichen Problemen zu kämpfen, verstand es jedoch, diese pragmatisch und
mit nie nachlassendem Einsatz zu lösen. Hermine dagegen sah sich den unterschied-
lichen Herausforderungen mehr oder weniger hilflos ausgeliefert und reagierte zu-
meist aufgeregt und emotional. Was Hermine, die immer wieder klagte, zu wenig Auf-
merksamkeit von ihrem Mann zu erhalten, wohl dachte, als Rolf sich mehr Auszeit aus
seinem beruflichen Alltag erlaubte, jedoch die freien Stunden nicht mit ihr, sondern am
Eislaufplatz und im Ruderklub verbrachte
? Zu Hermines Erstaunen kam jedenfalls erst
durch die Geburt der Kinder eine neue Seite an Rolf zum Vorschein.
Im gleichen Jahr, als sich Rolf von der Firma Yuen Fu trennte, wurde am 4. Au-
gust 1924 die Tochter Maria Barbara geboren. Vorerst wurde das kleine Mädchen nur
»Mausi« genannt, und da sich die jungen Eltern lange Zeit nicht auf einen Namen ei-
nigen konnten, blieb ihr dieser Beiname ihr Leben lang erhalten. Rolf war über die An-
kunft der kleinen »Ersatztochter« überglücklich. Erst jetzt zeigte sich, dass er den Tod
der kleinen Maja im Jahr 1916 nie so recht überwunden hatte, obwohl man aus seinem
seinerzeitigen Verhalten eher auch seine bekannte Distanziertheit herauslesen konnte.
Nun öffnete sich Rolf und suchte bei seiner Tochter jene Nähe, die er seiner Frau schein-
bar verwehrte. Um sich seiner Tochter zu widmen, verließ er nun früher das Büro, und
als im September 1926 Sohn Franz geboren wurde, hatte er sich bereits zu einem liebe-
vollen und interessierten Vater entwickelt, der auch viel
Zeit für die Kinder aufwendete. (Abb. 113)
Und Hermine
? Natürlich ist Hermine unendlich glück-
lich über ihre Kinder, und sie schildert in den Briefen in
die Heimat ausführlich deren Entwicklung. Doch immer
findet sich auch ein Wermutstropfen, der ihre Freude
trübt. Vor allem klagt Hermine nun darüber, dass sie die
Kinder nicht der Familie zeigen könne und sie ohne die
nahen Verwandten aufwachsen müssten. Aus Sparsam-
keit musste sie überdies ausgerechnet von jenen Frauen
in Tientsin, denen sie sich gesellschaftlich deutlich über-
legen fühlte, Babykleidung, Stubenwagen etc. ausbor-
gen – eine Situation, die ihr Familienglück in ihren Au-
gen gleichfalls überschattete.
Dazu kamen fortwährende Ärgernisse mit dem Haus-
personal, die einmal in größere, dann wieder nur in klei-
nere Konflikte mündeten. Seit Hermine in China ange- 113 Der stolze Vater mit Franz und
Mausi, 1928
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273