Seite - 243 - in Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
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Sehnsucht nach Österreich 243
sie stand im 85. Lebensjahr – mit deren baldigem Ableben zu rechnen war. Da Rolfs Ur-
laub in Europa nun schon fünf Jahre zurücklag, war ihr großer Wunsch natürlich, noch
einmal ihren Sohn zu sehen. Nach – sicher quälenden – Überlegungen hat Rolf diese
Reise jedoch nicht angetreten. Er meinte nämlich, dass er durch seine Abwesenheit ein
Jahr Arbeit und die damit verbundenen Einnahmen verlieren würde. Allerdings scheint
bei seinen Erwägungen vor allem die Befürchtung, bei längerer Abwesenheit von sei-
nen beruflichen Konkurrenten verdrängt zu werden, im Vordergrund gestanden zu sein.
Da Rolfs Schwester Greta all die Jahre bei der Mutter lebte, stellten die Briefe Hermi-
nes, die sich häufig an beide wendeten, einen einigermaßen kontinuierlichen Kontakt si-
cher. Als Rolfs Mutter aus Altersgründen nahezu ganz aufhörte zu schreiben bzw. nach
ihrem Tod im Dezember 1934 reduzierte Hermine ihre Korrespondenz allerdings deut-
lich. Umso überraschender ist es, dass sich ab diesem Zeitpunkt Rolfs Mitteilungen nicht
mehr nur auf wenige Zeilen beschränken. In dem Briefverkehr zwischen Rolf und Greta
handelt es sich jedoch weitgehend um praktische Fragen. Vor allem in Angelegenheiten,
die Rolf nicht von China aus erledigen konnte, wendet er sich an seine Schwester. Einer-
seits ging es beispielsweise um die Geldbeträge, die Rolf zur Unterstützung der Mutter
überwies und die Greta verwaltete. Andererseits bat er sie um die Erledigung von diver-
sen in Österreich fälligen Zahlungen sowie um Hilfe bei Problemen, die teilweise durch
die berufliche Zusammenarbeit mit Wiener Firmen auftraten. Schließlich hat sich Gre-
ta auch um die Abrechnung verschiedener kunstgewerblicher Gegenstände, wie Grab-
beigaben, Rollenbilder, Tonfiguren etc., gekümmert, die Rolf für den Verkauf an Freun-
de und Bekannte nach Wien gesendet hat. Zu einem nicht bekannten Zeitpunkt hat Rolf
etliche dieser Stücke, wahrscheinlich nachdem sie sich als unverkäuflich erwiesen hatten,
dem Wiener Völkerkundemuseum geschenkt, wo sie sich zum Teil noch heute befinden.
Rolf war jedoch nicht nur durch seine Familie der Heimat verbunden. Es war ihm
ein ebenso großes Anliegen, auch in Österreich als Architekt Anerkennung zu finden
bzw. nicht vergessen zu werden. Mehrmals sendete er etwa kommentierte Entwürfe
verschiedener Projekte an diverse Medien, mit der Bitte, diese zu publizieren. Während
seines Europaaufenthaltes hielt er im Österreichischen Ingenieur- und Architektenver-
ein, in dem er korrespondierendes Mitglied war und dessen Fachzeitschrift er auch in
China regelmäßig bezog, einen Vortrag mit Lichtbildern mit dem Titel: »Über altes und
neues Bauen im heutigen China«. Er zeigte Fotografien von Gebäuden, Land und Leu-
ten, die er anlässlich seiner beruflichen Reisen in den verschiedenen Gegenden Chinas
aufgenommen hatte, und natürlich auch Bauwerke, die von ihm projektiert und errich-
tet worden waren.
Zu seiner großen Freude zeigten sich seine Bemühungen von Erfolg gekrönt: 1931
erhielt Rolf anlässlich der XX. Wiener Internationalen Frühjahrsmesse vom Bundesminis-
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273