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Ewige Ungewissheit 251
te er als Techniker ruhig nach Deutschland gehen, denn dort kann er natürlich viel mehr
geben und lernen als in unserer, heute engen Heimat. Schliesslich muß sich ja das Ver-
hältnis zu Deutschland in den nächsten Jahren endgiltig klären, so dass man in Öster-
reich nicht gleich als Landesverräter gilt, wenn man sich zu Deutschland gezogen fühlt.«
Bezüglich seiner beruflichen Aussichten im Jahr 1938 zeigt Rolf sich jedenfalls trotz al-
ler politischen Wirren unumstößlich optimistisch, und wieder einmal sind die Pläne über
eine Heimkehr in weite Ferne gerückt: »Das heurige Jahr wird wohl infolge der politi-
schen Wirren hier, und damit zusammenhängenden Teuerung ein sehr schlechtes Ge-
schäftsjahr werden, aber das entmutigt mich nicht. Es ist dafür nachher ein Aufschwung
zu erwarten, und bin ich nun hier so gut eingeführt und eingearbeitet, dass es eine Sün-
de wäre den Platz zu räumen ohne zuhause sicher zu sein entsprechend beschäftigt zu
werden. Wenn es sich in ein oder zwei Jahren zeigen sollte, dass zuhause ein dauern-
der Mangel an Architekten sein sollte dann werde ich natürlich daran denken.« ( Brief
an Greta, Dezember 1938 )
Allerdings beschloss im Sommer 1939 Hermine spontan, mit den Kindern eine Rei-
se nach Europa anzutreten. Hermine und ihr Vater hatten stets eine sehr enge Bezie-
hung gehabt, und der Vater hat die Trennung von der Tochter nie überwunden. Mögli-
cherweise erhielt Hermine nun Nachrichten von zu Hause, dass es dem Vater nicht gut
gehe, und hatte dabei vor Augen, dass Rolf seine Mutter das letzte Mal fünf Jahre vor
deren Tod gesehen hatte und auch nicht nach Wien aufgebrochen war, als ihm bekannt
wurde, dass ihr Lebensende bevorstehe. Hermine wollte jedenfalls nun nach zehn Jah-
ren ihren Vater noch einmal sehen und beschloss, zunächst nach Bukarest zu reisen. An-
schließend wollte sie mit den Kindern und Greta einen Urlaub in den Karpaten verbrin-
gen und sich sodann noch einige Zeit bei der Schwägerin in dem von Rolf gekauften
Haus in Emmersdorf aufhalten.
Was Rolf von dieser Reise hielt, ist nicht bekannt. Angesichts seines ausgeprägten
Pflichtgefühls ist beispielsweise schwer vorstellbar, dass ihm nicht allein der Gedanke
widerstrebte, dass die Kinder – sie waren nun 13 und 15 Jahre alt – einige Monate nicht
die Schule besuchen würden. Auch müsste ihn die politische Lage in der Heimat beun-
ruhigt haben, auch wenn für ihn wahrscheinlich nicht absehbar war, wie sehr ganz Eu-
ropa mittlerweile einem Pulverfass glich.
In Hermines Heimat Rumänien bewirkte in den 1930er-Jahren eine Reihe von kurzle-
bigen Regierungen und Konflikten mit der »Eisernen Garde«, einer von Hitler unterstütz-
ten faschistischen, ultranationalistischen Partei, immer wieder große, beinahe bürger-
kriegsähnliche Unruhen im ganzen Land. Im April 1939 schloss Rumänien zur Sicherung
seiner Unabhängigkeit mit Frankreich und Großbritannien einen Vertrag. Genau zu dem
Zeitpunkt, als sich Hermine und die Kinder in Bukarest befanden – also im September
Rolf Geyling (1884-1952)
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Rolf Geyling (1884-1952)
- Untertitel
- Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
- Autor
- Inge Scheidl
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79585-8
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 292
- Schlagwörter
- Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Revolte und Reife 8
- Eine Künstlerfamilie 9
- Zwischen Abenteuer und Architektur 15
- Mädy 35
- Mobilisierung und Krieg 41
- Der Weg an die Ostfront 41
- Die Schlacht von Lemberg 48
- »Durch Landesbewohner verraten« 59
- Die Sanoffensive 62
- Schlacht bei Krakau 65
- Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
- Die »Angriffshast« der Infanterie 68
- Warten auf Befehle 70
- Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
- Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
- Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
- Kriegsgefangenschaft 91
- Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
- »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
- Die Jahre in Sibirien 96
- Der Transport in die Lager 96
- Dauria 115
- Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
- Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
- Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
- China 173
- Ankunft 173
- Dies ist ja eine Übergangszeit 182
- Aufträge und Rückschläge 189
- Das architektonische Werk 199
- Städtebauliche Planungen 203
- Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
- Villen 214
- Miethäuser 221
- Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
- Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
- Sehnsucht nach Österreich 238
- Ewige Ungewissheit 247
- Lao Gai Lin 257
- Epilog 265
- Literatur 269
- Bildnachweis 272
- Farbteil 273