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Rolf Geyling (1884-1952) - Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Seite - 258 -
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China 258 Kai-shek und etwa zwei Millionen Anhänger flohen auf die Insel Taiwan, und am 1. Ok- tober 1949 riefen die Kommunisten die »Volksrepublik China« aus. Wenige Monate davor erreichten die Kämpfe zwischen den Kuomintang und Kom- munisten auch Tientsin, und Rolf geriet nun auch persönlich und gänzlich überraschend in eine gefährliche Lage. Seit einiger Zeit fuhr er mit einem aus verschiedenen Teilen selbst zusammengebastelten Fahrrad in sein Büro, denn sein Auto hatte er aufgrund der finanziellen Lage längst verkaufen müssen. Als er durch Sirenen gewarnt nach Hau- se eilte, geriet er jedoch plötzlich und völlig unvermittelt inmitten des Wohngebiets zwi- schen die Kampflinien und den Schusswechsel der beiden kriegerischen Parteien. Die »alten Ausländer« waren jedoch prinzipiell kein Angriffsziel, und Rolf konnte somit auch mit einer Portion Glück heil nach Hause gelangen. Es war dies der letzte Tag der Kämp- fe, aus denen die Kommunisten im Jahr 1949 siegreich hervorgingen, und gleichzeitig war es der letzte Tag, bevor Tientsin in Tianjin umbenannt wurde. Kurz nach dem Ende der Kämpfe wurde Rolf von den neuen Machthabern zu einer Schornsteinreparatur einer nahe gelegenen Papierfabrik gerufen. Nachdem er seine sportliche Betätigung all die Jahre aufrechterhalten hatte, kletterte er höchstpersönlich auf den hohen Schornstein und stellte kostenlos seine Reparaturvorschläge zur Verfü- gung. Nicht nur deshalb, sondern auch wegen seines persönlichen Einsatzes trotz sei- nes fortgeschrittenen Alters – er stand im 65. Lebensjahr – erregte »Lao Gai Lin« (  Der alte Geyling  ) so große Bewunderung, dass er sogar eine Auszeichnung für die »vorbild- liche Sanierung einer großen Fabrik« erhielt.54 Vielleicht war diese Inanspruchnahme seines Fachwissens der Anstoß, dass Rolf nun, nachdem er zuvor bereits überzeugt ge- wesen war, sein Architekturbüro jetzt endgültig schließen zu müssen, um eine Architek- tenlizenz bei den neuen Machthabern ansuchte. Sie wurde ihm auch sogleich bewilligt, doch ist eine architektonische Tätigkeit aus dieser Zeit nicht bekannt. Eine der ersten Maßnahmen, die die Kommunistische Partei in Tientsin in Angriff nahm, war die Enteignung der Grundbesitzer, die in Form einer vorgeschobenen »Neu- Registrierung« durchgeführt wurde. Rolf musste den Behörden sämtliche Nachweise vor- legen, die seine Besitzverhältnisse dokumentierten. All diese Dokumente wurden sodann als »veraltet« abgestempelt, und er bekam niemals neue ausgehändigt. Er, der immer so sparsam gelebt und den Großteil seiner Gewinne in Grundbesitz und Immobilien ange- legt hatte, sah sich nun am Ende seiner Berufslaufbahn um die Früchte seiner gesamten Arbeit betrogen. Alle Versuche, neue Dokumente über seine Besitzansprüche zu erhal- ten, blieben ergebnislos. Die Ungewissheit, was mit seinem Eigentum passieren wür- 54 Unveröffentlichtes Schreiben im Nachlass Rolf Geylings.
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Rolf Geyling (1884-1952) Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Rolf Geyling (1884-1952)
Untertitel
Architekt zwischen Kriegen und Kontinenten
Autor
Inge Scheidl
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2014
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-79585-8
Abmessungen
17.0 x 24.0 cm
Seiten
292
Schlagwörter
Architektur, Historismus, Jugendstil, Neue Sachlichkeit, Erster Weltkrieg, Ostfront, Kriegsgefangenschaft, Sibirien, China, Tianjin
Kategorie
Biographien

Inhaltsverzeichnis

  1. Revolte und Reife 8
  2. Eine Künstlerfamilie 9
  3. Zwischen Abenteuer und Architektur 15
  4. Mädy 35
  5. Mobilisierung und Krieg 41
  6. Der Weg an die Ostfront 41
  7. Die Schlacht von Lemberg 48
  8. »Durch Landesbewohner verraten« 59
  9. Die Sanoffensive 62
  10. Schlacht bei Krakau 65
  11. Kriegsalltag in der k. u. k. Armee 67
  12. Die »Angriffshast« der Infanterie 68
  13. Warten auf Befehle 70
  14. Bewegungskrieg in Nässe und Schlamm 74
  15. Schlacht bei Limanowa-Lapanow 78
  16. Die Schlacht von Tarnow-Gorlice 81
  17. Kriegsgefangenschaft 91
  18. Berichte zwischen Verklärung und Traumabewältigung 91
  19. »Kriegsordnung« und Kriegsgefangenenrealität 94
  20. Die Jahre in Sibirien 96
  21. Der Transport in die Lager 96
  22. Dauria 115
  23. Architekturentwürfe in der Gefangenschaft 139
  24. Zwischen den Fronten der »Weißen« und »Roten« Garde 149
  25. Antipicha – Perwaja-Rjetschka – Wladiwostok 159
  26. China 173
  27. Ankunft 173
  28. Dies ist ja eine Übergangszeit 182
  29. Aufträge und Rückschläge 189
  30. Das architektonische Werk 199
  31. Städtebauliche Planungen 203
  32. Öffentliche Gebäude und Geschäftsbauten 204
  33. Villen 214
  34. Miethäuser 221
  35. Gesellschaftliches Leben gibt es hier genug 224
  36. Wir leben recht abgeschlossen für uns 230
  37. Sehnsucht nach Österreich 238
  38. Ewige Ungewissheit 247
  39. Lao Gai Lin 257
  40. Epilog 265
  41. Literatur 269
  42. Bildnachweis 272
  43. Farbteil 273
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